Der Krötenschatz

Sagen und Erzählungen aus dem Coburger Land

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Foto: © Ulrich Göpfert

Den Rittersleuten in der alten Burg zu Obersiemau wurde einst an einem Sonntag ein Töchterchen geboren, das zu einer Schönheit erwuchs, und weil es ein Sonntagskind war, hatte es allen anderen Leuten vieles voraus. Denn ihm war alles hold, und vieles wurde ihm offenbar, was Anderen stets verborgen blieb.

Als das Mädchen 12 Jahre alt war, ging es erstmals am Rande eines tiefen Sumpfes, der die alte Burg von Obersiemau rings umgab, und wollte Blumen pflücken. Es war am Tag der Sommersonnenwende zur Mittagsstunde und ein heißer Tag. Alle Leute pflegten im Haus die Mittagsruhe. So ging das Mädchen mutterseelenallein am Teich spazieren. Da kroch aus dem Wasser eine große, dicke Kröte und watschelte dem Mädchen entgegen. Das fürchtete sich aber nicht und weil die Kröte so nass und schmutzig war, bückte es sich zu ihr herab, nahm sein weißes Taschentüchlein und wischte damit die Kröte sauber und trocken ab. Darauf breitete es das Tüchlein – weil es nass geworden – gleich auf den Rasen am Wege, damit es die Sonne wieder trocknete. Während dem aber watschelte die Kröte wieder an den Rand des Sumpfes, hüpfte mit einem großen Satz hinein, schwamm ein Stück weiter, tauchte bei einem hohlen Weidenbaum unter und blieb geraume Zeit unter Wasser. Darauf kam sie wieder herauf, trug ein goldenes Krönlein auf dem Kopf und im Maul einen breiten goldenen Fingerring. Sie kroch mühsam an Land, watschelte zu dem weißen Tüchlein, das da ausgestreckt in der Sonne lag, und legte das goldene Krönlein und den goldenen Ring mitten drauf. Dann hüpfte die Kröte wieder in den Sumpf und kam nicht wieder.

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Foto: © Ulrich Göpfert

Da merkte das Mädchen, dass es die Krötenkönigin gewesen ist, die ihm Krönlein und Ring geschenkt hat. Sie raffte das Tüchlein hurtig zusammen und brachte den Schatz seiner Mutter. Die gebot ihrem Kind, dass es die Sache geheim halten sollte und verwahrte die goldenen Kleinode sorgsam in einem eisernen Kästchen mit kunstvollem Schloss.

Einige Jahre vergingen in Glück und Frieden. Da kam ein großes Sterben ins Land. Auch die Jungfrau aus der Burg erkrankte. Schon am dritten Tag ihrer Krankheit musste sie sterben. Wie sie nun aufgebahrt und in ihrem Sarg lag, noch im Tod voller Schönheit, da holte die Mutter das eiserne Kästchen und legte es heimlich, dass es niemand merkte, ihrem toten Kind unter das Kopfkissen im Sarg. So sind denn das goldene Krönlein und der goldene Ring mit begraben worden auf „dem Haag“, wo damals der Friedhof war.

Später hat man es wohl erfahren, denn wie die Burgfrau erkrankte und im hitzigen Fieber lag, plauderte sie irren Sinnes alles aus. Aber niemand getraute sich, den Krötenschatz wieder aus dem Sarg herauszuholen. Und so liegt er noch heute dort begraben bei dem Sonntagskind auf „dem Haag“.

Quellenhinweis: Karl Mönch

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