Eine Beizjagd

Eine Beizjagd im Coburger Land
Der Graf von Henneberg und seine drei Töchter
bei einer Beizjagd durch Müß und Heide


Das Foto zeigt den Dörfles-Esbacher
Falkner Karl Dorschner mit seinem
Habicht Lady, 8 Jahre alt

Am Kulm brannte das Herbstlaub im Schein der aufgehenden Sonne. Der Nebel sank zusehends und deckte nur noch den "Großen Teich“ hinter Mönchröden und die Auwälder vor Kemmaten. Schon tauchte der Rücken des Muppberges auf und Stiefvater und Fechheimer Berg lösten sich langsam aus dem Nebelschleier.

Langsam kamen die ersten Gespanne der Kemmater Bauern aus dem Dorf zu den Mergeläckern, die Felder zur Roggensaat zu bereiten. Die Glocken der Klosterkirche zu Mönchröden riefen die Brüder zur zweiten Andacht. Friedliche Ruhe lag über Land und Menschen. Nur der Wildmeister lief unruhig die Neustadter Straße auf und ab. Er hatte sich schon längst von dem Falkenmeister getrennt, der mit drei Forstknechten fröstelnd auf dem Teichdamm stand. Wohl ein halbes Dutzend Mal schon hatte man das Geschuhe geprüft, rasche Lösung des Würfers geübt, die Riemen der Haube geschlossen, das Federspiel der Tasche besehen. Alles sollte heute besonders gut gelingen -  heute ging es um die Gunst des Herrn.

Von Coburg her bewegte sich ein ansehnlicher Beritt. Voraus der Graf von Henneberg, dicht auf die drei Töchter, mit Abstand ein paar Hofleute und weit zurück Knechte und Pferdehalter. Mit lauter Fröhlichkeit waren sie aus Coburg ausgeritten, trabten in rascher Gangart durch den Bausenberg, über den Höhn, durch Einberg und bogen zur Landstraße herüber. Nun ließ man die Pferde verschnaufen. Die Knechte saßen ab, etliche sprangen vor, dem Grafen und den Edelfräulein beim Absitzen zu Diensten zu sein. Die drei Schwestern sprangen behend aus den Sätteln. Sie waren durch eine harte Reitschule gegangen, wie es der Herr Vater befohlen hatte. Sie hatten aber mit Lust alles auf sich genommen, und der Graf sah mit Stolz die edlen Bewegungen und die fürstliche Haltung seiner Töchter. Keck saß das Hütlein über den blonden Locken, straff das Jägerwams an Brust und Hüften, weit reichte der Faltenrock bis zum Knöchel. Man ging zu Fuß in das Dorf Mönchröden, um die Zehen und Finger etwas aufzuwärmen.


Ausgangsort der Beizjagd war das
Kloster Mönchröden
2014 © Ulrich Göpfert

Endlich hörte der Wildmeister das Pferdegetrappel und lief in raschen Schritten dem Zug entgegen. Tief verneigte er sich vor seinem Herrn. "Gnädiger Herr, euer gehorsamer Diener erlaubt sich einen fröhlichen Jagdtag zu wünschen“, begrüßte er den Grafen, "alles ist wohl vorbereitet“. Auf einen Wink sprangen der Falkenmeister und die Forstknechte herbei und überreichten die Falken. Rasch waren die schweren Lederhandschuhe über die linken Hände gestreift, die Falkentaschen über die Schulter geworfen. Behutsam nahmen die Fräulein die Falken auf die Hand, wanden den Würfel um die Finger. Die Glöckchen der Geschuhe klangen hell. Stolz richteten sich die Falken auf. Die kunstvoll gestickten Häubchen mit dem Seidentrosch verdeckten Kopf und Augen der Vögel.

Der Nebel war längst verschwunden und die Herbstsonne lag nun über dem herrlichen Tal und dem “Großen Teich“. Die Forstknechte waren über den Damm zur anderen Seite des Wassers geeilt, wo die Enten im Frühjahr brüteten und sich meist aufhielten. Als der Wildmeister das Hifthorn blies, sprangen sie das Ufer entlang, schlugen mit Stöcken an die Erlenbäume und schrien aus Leibeskräften. Die Wildenten hoben die Hälse, äugten nach allen Seiten und erhoben sich schwerfällig und mit knarrenden Lauten aus dem Wasser. Rasch sammelten sich die Tiere zu einer langen Kette und umkreisten den Teich. Nun gab der Falkner das Zeichen zum Beizbeginn. Zuchtvoll hielten sich die Töchter zurück, der Herr Vater möge den ersten Vogel abwerfen. Bedächtig löste er den Riemen, faßte den Trosch und zog die Haube ab. Scharf äugte der Falke über den Teich, erkannte die Entenkette und schoß mit kräftigen Schwingen den Tieren entgegen, als der Graf ihn am Geschüh in die Luft warf. Auch die Enten erkannten den Falken. Todesangst überfiel sie.


Ein Blick in die Mönchrödener Flur. Hier hat u. a.
diese Beizjagd stattgefunden
2014 © Ulrich Göpfert

Gegen diesen Räuber gab es keine Wehr. Nur die rasche Flucht in das schützende Rohrdickicht konnte Schutz bieten. Schrill ertönte der Angstschrei der Kette. Aber bevor die Schwenkung erfolgen konnte, schoß der Falke über sie. Mit aller Kraft warfen sich die Enten zur Seite, wirbelten den Körper durch die Luft, im Drehen der Leiber und schnellen Flügelschlag dem Stoß des Räubers auszuweichen. Doch schon hatte er die Dritte erwischt. Die nadelspitzen Fänge bohrten sich in den Rücken, gruben sich in das Fleisch und saßen fest. Mochte die Ente im Schmerz ihre Kraft verdoppeln, die Flügel noch schneller schlagen, den Falken konnte sie nicht entkommen. In der Angst hatte sie auch die Richtung zum Schilf versäumt und flog torkelnd in Richtung des Dorfes Thann. Bald erlahmte ihre Kraft, zudem der Falke mit dem scharfen Schnabel einige Fetzen aus dem Hals gerissen hatte und das rote Blut hervorquoll. Vor dem Wald auf der großen Wiese stürzte sie zu Boden. Noch ein röchelnder Schrei. Der wuchtige Schnabelhieb des Falken zertrümmerte ihren Kopf und endete ihr Leben.

Als der Graf das Schlagen des Falken und das Abschwenken der Ente sah, gab der seinem Pferd die Sporen und jagte den Vögeln nach. Kaum lagen beide am Boden, hatte er sie schon erreicht. Siegesstolz drehte sich der Falke nach dem Herrn um. Der nahm das Federspiel aus der Falkentasche, schwang es etliche Male im Kreis und auf dem Lockton hin ließ der Falke von seinem Opfer und kehrte willig auf den Arm des Grafen zurück.


Das Repro zeigt die Ausrüstung eines Falkners

Zur Belohnung erhielt er einige Fleischstücke, die er gierig verschlang. Jetzt wurde ihm die Haube wieder aufgestülpt, der Würfel an die Hosen geknüpft und liebkosend über den Rücken gestrichen. Ein Knecht nahm die Ente auf, und der Graf hängte die Jagdbeute stolz an den Ring der Tasche.

Der Rest der Enten hatte das schützende Rohr des "Großen Teiches“ wieder erreicht. Einige strichen zum Heiderteich, einige gar zum Röhrlesteich nach Neustadt. Als der Graf zu seinen Töchtern zurückkam, gab er ihnen die Beize frei. Wieder mussten die Forstknechte mit Knüppeln und Schreien die Enten hochbringen. Kaum waren die Ketten zu sehen, warfen die Jungfräulein die drei Falken zugleich hoch und verfolgten die aufregenden Flugbahnen der Vögel. Zwei Falken hatten in Windeseile ihre Opfer ausgewählt und geschlagen. Eine Ente ging gleich auf dem Teich nieder mit aufgerissener Schlagader. Der Beizvogel löste sich von der Beute und kehrte sofort zu seiner Herrin zurück, als er das Windspiel erspäht hatte. Der andere hatte wohl den Erpel schlecht gefaßt, ließ ihn kurz los und stieß von neuem auf ihn herab. Diesmal war die Kraft des geschlagenen Vogels noch so groß, dass er weit gen Osten flüchten konnte. Bald war er hinter dem Deutersberg den Blicken entschwunden. Das Fräulein bedachte sich nicht lange. Im gestreckten Galopp jagte sie über den Damm, den Deutersberg entlang. Kaum konnte ein Knecht der flotten Reiterin folgen.

Als beide die Kemmater Wiese erreicht und freie Sicht hatten, waren Erpel und Falke nicht mehr zu sehen. Kreuz und quer durcheilten sie Felder und Wiesen, den Beizvogel zu suchen. Kurz vor dem Mergelbrunnen hielt die Falknerin auf einem hohen Feldrain, um Ausschau zu halten. Da vernahm sie im nahen Hain das Läuten der Hosenschellen. Der Falke hatte sein Opfer angenommen und kröpfte aus dem aufgerissenen Leib des Erpels Herz, Lunge und Leber. Er strich aber sofort auf den Handschuh zurück, als das Windspiel geschwungen wurde. Der dritte Falke schoss verwirrt über die Entenkette hinaus und hätte ohne Beute zur Herrin zurückkehren müssen, wenn nicht durch die Unruhe der Beizjagd ein Jungreiher aus dem Kemmater Auwäldern vom Horst gestrichen und zu der Haarbrückener Müß gerudert wäre. Das war unklug von ihm. Hinter dem Heiderteich hatte ihn der Falke erspäht. Blitzschnell stand er über ihm. Ehe er aber zum Sturz ansetzen konnte, hatte der Reiher die Gefahr erkannt und suchte zu entrinnen. Der Jungvogel schoß in die Höhe, wirbelte den Körper in krausen Schleifen durch die Luft, äugte scharf nach dem Räuber. Keine Bewegung des Falken entging ihm. Der spitze Schnabel war zur Abwehr bereit.

Als der Falke zum ersten Angriff auf den Rücken des Reihers heran schoss, musste er schnell seitwärts ausbiegen, sonst hätte wohl die Schnabelspitze den Angreifer in große Not gebracht. Zwei gleichwertige Kämpfer standen in der Luft. Immer wenn der Falke von neuem angriff, war der Reiher zur Abwehr bereit. Schon standen sie weit hinten in der Birkiger Heide.

Sophie galoppierte mit zwei Hofleuten den kämpfenden Tieren nach. Kurz vor Haarbrücken mußten sie links zur Landstraße abbiegen, um bei der Mühle die Rödenfurt zu erreichen. Dann konnten die Pferde im sandigen Heideboden rasch ausgreifen. Aufregend war der Ritt. Bald bogen die kämpfenden Tiere nach links, bald nach rechts. Immer mußten die Verfolger den Zick-Zackflügen der Vögel folgen. Oftmals stürzte der Reiher fast bis zum Erdboden herab und entzog sich den Blicken der Reiter. Dann stieg er wieder steil in die Luft, den Falken zu täuschen. Ein Glück, dass kurz vor der Heubischer Müß das Kämpferpaar gegen Neustadt schwenkte, durch die Sümpfe um Heubisch hätten die Reiter nicht folgen können. Bei den drei Grenzfichten am Fuße des Muppbergs traf Sophie den Herrn Vater und den Falkenmeister, die ihr entgegen geritten waren. Bangen Herzens verfolgten sie den Kampf der beiden Vögel.

Sophie hatte Sorge um ihren Falken. Viele, viele Male schon hatte er den Angriff gewagt, immer wieder musste er ausweichen, weil der Reiher den Stoß mit dem Schnabel pariert hatte oder geschickt mit dem Körper ausgewichen war. Nun merkte man aber, dass die Bewegungen des Reiher immer langsamer wurden, er bei jedem Angriff des Falken Federn lassen mußte. Endlich gelang dem Angreifer der entscheidende Stoß.

Sei es, dass der Reiher einmal nicht aufmerksam genug war, sei es, dass er nicht mehr die Kraft hatte, blitzschnell die Flugrichtung zu ändern -  der Falke saß ihm im Rücken, bohrte ihm die Fänge in die Schulter und zertrümmerte mit dem Schnabel gleich zwei Halswirbel. Mit abwärts geknicktem Hals trudelte der Reiher zur Erde. Der Falke ließ sein Opfer los, rüttelte eine halbe Minute und stieß erneut auf das sich am Boden wälzende Tier herab. Noch ein paar Flügelschläge tat der weidwunde Vogel; dann wurde es still. Der Falke saß stolz auf dem toten Körper. Gerade begann er die Brustfedern zu rupfen, sein Siegesmahl zu beginnen, als auch schon Sophie herangeprescht kam und das Federspiel schwang. Gehorsam bockte der Falke auf der Hand auf und nahm die Lockspeise in Empfang. Dabei merkte er kaum, dass ihm der Würfer in das Ringlein der Hose gehakt und er seiner goldenen Freiheit wieder beraubt wurde. Liebkosend strich ihm das Burgfräulein den Rücken, hielt ihm neue Fleischstücke vor den Schnabel, bis er völlig gesättigt weitere Kost verschmähte. Sorgsam wurde ihm die Haube übergestülpt und der Riemen vor der Kehle geknotet.


Das Foto zeigt links das Kloster Mönchröden und im
Hintergrund die Veste Coburg
2014 © Ulrich Göpfert

Vor dem Forsthaus in Mönchröden versammelte sich die Jagdgesellschaft zu einem kleinen Imbiß. Munter folgen die Scherzworte von Mund zu Mund, die Taten der Falken und der Reiter zu loben und zu bespotten. Zum Schluß meinte der Graf, man könne mit der Arbeit der Falken und der Reitkunst seiner lieben Töchter zufrieden sein. Als die Sonne über dem Callenberg unterging, ritt man zufrieden und müde in den Burghof der Veste ein. Stolz ließ sich Frau Jutta beim Abendbrot von dem ereignisreichen Tag berichten und überhörte sogar mit mütterlicher Güte das Jägerlatein ihrer tatenfrohen Töchter.

Nach einer Erzählung von Andreas Stubenrauch

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