Eine Bärenhetze

Eine Bärenhetze auf dem Coburger Marktplatz
Eine Erzählung aus Coburg


2015 © Veste-Verlag Roßteutscher Coburg
Das Jagdbuch des Herzogs Johann Casimir von Sachsen-Coburg.
Das Werk entstand in den Jahren von 1639 bis 1646.
Als sein Schöpfer wird der Bayreuther Maler Wolfgang Birckner (geboren 1580) genannt

Der Coburger Marktplatz, auf dem die Lustjagd vor sich gehen sollte, war für diese Veranstaltung sorgfältig vorbereitet worden. Man hatte alle auf den Platz mündenden Straßen mit Bretterwänden abgesperrt, durch die kleine, mit Türen versehene Pforten führten. Nur die Nägleinsgasse hatte in großes Flügeltor. Kopf an Kopf und dicht gedrängt harrte eine ungeheuere Menschenmenge des Schauspiels. Beim Rathaus vor der Hauptwache standen die Käfige mit dem Jagdgetier. Vorne die Käfige mit den zwei Bären. Die Bären brüllten ohne Unterlass und rüttelten gewaltig an den Eisenstäben der Behausung. Daneben waren im Käfig zwei starke Wölfe, die man in der Wolfsgrube hinter der Lauterburg gefangen hatte. In anderen Käfigen waren acht Wildsäue und einige starke Keiler. Dazu kamen noch 24 Füchse, 15 Dachse und 82 Hasen. Mit den Hasen sollte der Anfang gemacht werden.

Man wollte vor dem Beginn des waidmännischen Jagens auch dem gemeinen Manne Gelegenheit geben, an der Jagd teilzunehmen, und so ein herzhaftes Lachen schaffen.Während die Herzogin und die anderen hohen Zuschauer auf der Tribüne Platz nahmen, wurden die Bürger und andere Leute ringsum vom Jagdpersonal aufgefordert, doch ihre Hunde auf den Platz zu lassen, man wolle ihnen etwas zu jagen geben. Wie nun eine stattliche Zahl von allerlei Hunden in der Umfriedung war, wurde ein Dutzend Hasen losgelassen. Auf dieses stürzten sich die Hunde, rannten hinter ihnen her auf dem Platz herum, überrannten und balgten sich in der Hitze des Laufens und vollführten einen Mordsspektakel, worüber dann großes Lachen entstand. Um die wilde Jagd wieder loszuwerden, trieb man die Köter und das Wild gegen die Nägleinsgasse, öffnete dort das breite Tor und ließ vor den Augen der Hunde noch einige Hasen hineinlaufen, worauf dann die ganze Bande mit johlendem Geheul hinterdrein rannte und in den Winkelgässchen jenseits des Schlupftores zerstiebte.

Nun kündeten Horn und Jagdruf die Anwesenheit des Herzogs. Der Landjägermeister machte mit entblößtem Haupt und gesenkten Speer seine Meldung und erhielt die Erlaubnis zum Beginn des Jagens. Zunächst kam die Hetzjagd auf die losgelassenen Dachse und Füchse, denen durch die wohl abgerichteten größeren Hunde bald ein Ende bereitet wurde. Gefährlicher war die folgende Jagd auf Wildsauen. Gar mancher Hund wurde von den wütenden Keilern schwer verletzt oder getötet. Allerlei Überraschungen bot die Jagd auf die beiden Wölfe. Der eine Wolf sprang, von den Hunden in die Enge getrieben, mit einem mächtigen Satz in den Laden eines Buchbinders, in dem er manchen Schaden anrichtete, bis er endlich von den Hunden gepackt wurde und den Garaus erhielt. Der andere Wolf sprang in den großen Marktbrunnen. Er wurde von seinen Verfolgern aus dem Bade herausgeholt und musste unter Biss und Stich sein Leben lassen.


  Foto: 2015 © Ulrich Göpfert

Das Foto zeigt den Bären, der seit geraumer Zeit wieder auf der Veste Coburg im Bärenzwinger zu sehen ist. Das Präparat war Ende des 19. Jahrhunderts vor der Großen Hofstube auf der Veste ausgestellt gewesen und gelangte in das Magazin des Naturkundemuseums Coburg. Da der Zahn der Zeit dem alten Bären bereits zugesetzt hatte, bedurfte es einiger Anstrengungen, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kunstsammlungen und des Naturkundemuseums gemeinsam aufgewendet wurde, um ihn wieder ansehnlich erscheinen zu lassen. Der im Zwinger der Veste Coburg gehaltene Bär wurde für bösartig erachtet, weil er das mit ihm zusammen gehaltene Weibchen und zwei seiner Jungtiere getötet hatte. Er wurde deshalb im Jahr 1867 erschossen. Tatsächlich war das Tier nicht bösartig, es verhielt sich artgerecht. Männliche Bären fressen Jungtiere, auch ihre eigenen, um die Weibchen wieder paarungsbereit zu machen. Daher leben Braunbären in der Natur in Mutterfamilien getrennt vom Vater.

Nun wurde der Marktplatz von allem geräumt. Es sollte zum Schluss an die beiden Bären gehen. Schwerfällig trottete der erste Bär aus dem Käfig heraus. Er war noch nicht weit gekommen, so stürzten sich mit wütendem Bellen einige der stärksten Bären- und Wolfshunde auf ihn. Mit schnellen Tatzenschlägen traf er einige, dass sie totwund zur Seite flogen und die anderen erschreckt von ihm abließen. Jetzt schritt ein tapferer Jäger, des Herzogs Bruder, mit gefälltem Speer auf ihn zu. Der Bär richtete sich brüllend auf. Gerade als der Jäger zustoßen will, wirft sich ihm der Bär mit einer blitzschnellen Bewegung entgegen, versetzt ihm einen Tatzenhieb auf die Schulter, reißt ihm aus dem Lederkoller einen breiten Fetzen bis zum Hüftgürtel und wirft den Getroffenen schwer zu Boden. Brüllend, mit weit geöffnetem Rachen, stürzt sich der Bär auf den wehrlos Liegenden. Entsetzt schreien die Zuschauer ringsum auf. Da eilen zwei tapfere Offiziere mit Speeren herbei. Der eine stößt der Bestie das scharfe breite Ende in den Rachen, der andere rennt ihr den Speer zwischen die Rippen ins Herz.

Trotz dieses schweren Zwischenfalles wird die Jagd zu Ende geführt. "Nun gebet meinen Bären los!" befahl Herzog Casimir. Er schritt furchtlos vor den Jägerstand und harrte des grimmigen Feindes. Wieder begann zunächst der Angriff der Hunde. Sei es nun, dass der ungeheuere Lärm den Bären irremachte, oder dass der furchtlos anschreitende Herzog ihn einschüchterte, plötzlich drehte sich der Bär zur Seite und lief brüllend gegen die Steingasse zu in Richtung auf die Apotheke. Dort stand als Zuschauer der kleine Jakob, des Herzogs Zwerg. Wie nun die Bestie mit offenen Rachen und mit Brüllen auf ihn lossprang, tat der Kleine einen hellen Angstschrei, lief windesschnell zur Pforte im Tor und schlüpfte hinein. Er konnte aber die Pforte nicht mehr schließen. Der Bär war mit großen Sprüngen davor und steckte brüllend den dicken Kopf hinein. Bald drang von drinnen heraus ein gewaltiges Poltern und Klirren, dazu das Bellen der nachfolgenden Hunde und das mörderische Brüllen des Bären.

Dann flüchtete das Tier durch die Hinterpforte in die Kirchgasse, hinter ihm her folgend die Hunde und eilte der Herzog mit einigen der Jagdgäste. Der Bär blieb vor der Kirche stehen und richtete sich zur Wehr brüllend in die Höhe. Mit einem blitzschnellen Tatenschlag traf er den Speer des Herzogs so kurz und derb an der Seite, dass der starke Eschenschaft mit scharfem Krach abbrach. Wehrlos, mit dem Schaftstumpf in der Hand, stand der Herzog der Bestie gegenüber. Er hätte wohl kaum Zeit gefunden, den Hirschfänger zu ziehen. Den aus der Kirchgasse folgenden Jagdteilnehmern stockte der Atem. Da, in höchster Lebensgefahr, kam unerwartete Rettung. Neben dem großen "Schandstein" vor der Kirche stehend, hatte ein Konstabler den Vorgang beobachtet. Rasch riss er den kurzen, schweren Säbel aus der Scheide, eilte dem Bären dicht an die Seite und mit wuchtigem Stoß rannte er ihm den Säbel bis an das Heft in die Brust. Die Hunde gaben dem aufbrüllenden Bären den Rest. Tief aufatmend wandte sich der Herzog seinem Retter zu.

Quellenhinweis: Ludloff

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