Der Dreizehnte Monat

 

von Erich Kästner

erich kaestner01
Erich Kästner am Schreibtisch, 1932
© Deutsches Literaturarchiv Marbach

Wie säh er aus, wenn er sich wünschen ließe?

Schaltmonat wär? Vielleicht Elfember hieße?

Wem zwölf genügen, dem ist nicht zu helfen.

Wie säh er aus, der dreizehnte von zwölfen?

 

Der Frühling müsste blühn in holden Dolden.

Jasmin und Rosen hätten Sommerfest.

Und Äpfel hingen, mürb und rot und golden

im Herbstgeäst.

 

Die Tannen träten unter weißbeschneiten

Kroatenmützen aus dem Birkenhain

und kauften auf dem Markt der Jahreszeiten

Maiglöckchen ein.

 

Adam und Eva lägen in der Wiese

und liebten sich in ihrem Veilchenbett,

als ob sie niemand aus dem Paradiese

vertrieben hätt.

 

Das Korn wär gelb und blau wären die Trauben.

Wir träumten, und die Erde wär ein Traum.

Dreizehnter Monat, lass uns an dich glauben!

Die Zeit hat Raum.

 

Verzeih, dass wir so kühn sind, dich zu schildern.

Der Schleier weht, dein Antlitz bleibt verhüllt.

Man macht, wir wissen's, aus zwölf alten Bildern

kein neues Bild.

 

Drum schaff dich selbst! Aus unerhörten Tönen,

aus Farben, die kein Regenbogen zeigt.

Plündre den Schatz des ungeschehnen Schönen.

Du schweigst? Er schweigt.

 

Es tickt die Zeit. Das Jahr dreht sich im Kreise.

Und werden kann nur, was schon immer war.

Geduld, mein Herz. Im Kreise geht die Reise.

Und dem Dezember folgt der Januar.

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