Die alte Strickerin

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Eine Erzählung aus dem Coburger Land

Dort, wo der Weg von Öttingshausen den Bach entlang nach Elsa führt, war früher eine Hohlgasse. Obwohl sie schon seit über hundert Jahren eingeebnet ist, heißt das Flurstück heute noch "Huehl" (Höhle).

Hier war es in alten Zeiten nicht geheuer. Mancher der vorbeikam, will eine alte Frau mit einem Strickzeug dort sitzen gesehen haben. Aber nur in Nächten mit abnehmendem Mond saß die Alte da und strickte an einem langen Strumpf. Kam ein Bursch gegangen und wollte wortlos vorbei, saß ihm flugs die Alte auf dem Buckel. Selbst der Stärkste brach da zusammen und kam schweißgebadet nach Hause. Kein Wunder also, dass man in solchen Nächten die "Huehl" mied.

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Bei den Lichtstubenabenden ging es zünftig und lustig zu
Repro: Ulrich Göpfert

Zu Lichtmess hatte der Hofbauer wieder einmal einen neuen Knecht eingestellt, der wegen seines freundlichen, hilfsbereiten Wesens überall gerne gesehen wurde. Trotzdem wurde er zu den Lichtstubenabenden der Burschen und Mädchen nicht eingeladen. Darüber war er sehr betrübt. Bald lernte er eine Magd aus Elsa kennen, und nun verbrachte er manchen Abend in der Elsaer Lichtstube. So blieb es nicht aus, dass er in später Nacht öfters einmal zu der berüchtigten "Huehl" kam.

Und tatsächlich begegnete er eines Nachts im Mondschein der Alten, die neben ihrer Holzbürde saß und unermüdlich strickte. Der Knecht ging furchtlos auf die Gestalt zu und fragte sie freundlich: "Na Frala, is dir des Holz zu schwer? komm, ich trag es dir heim!" Schon hatte er die Bürde gepackt und auf seine Schultern genommen. Da sagte die Alte mit fröhlicher Stimme: "Du bist der Erste der Mitleid mit mir hat. Nun bin ich meiner Schuld ledig!" Sie drückte ihm den Strumpf mit dem Wollknäuel in die Hand und verhieß ihm dabei: "Dir und den Deinen wird es im Leben gut gehen". Dann war sie verschwunden.

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Die schöne Magd aus Elsa
Repro: Ulrich Göpfert

Der Knecht heiratete seine Liebste in Elsa und zog dorthin. Das Geschenk der Alten gereichte ihm zum Segen, bald konnten sie einen eigenen Hof erwerben, und seitdem werden die besten Strümpfe in Elsa gestrickt.

Quellenhinweis: Andreas Stubenrauch