Eine Erzählung aus Obersiemau im Coburger Land
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
In Obersiemau stand einmal eine stattliche Burg. Drinnen hauste ein sehr ungleiches Brüderpaar. Der Ältere finster und schwarzhaarig. Außerdem war er jähzornig, der Jagd, dem Trunke, dem Spiel und der Unzucht ergeben. Der andere jedoch war sanft, blond und von frommen und keuschem Gemüt.
Die Brüder hätten längst heiraten sollen, aber sie warteten und warteten auf die eine, die sich in ihrer Jugend und Unschuld noch nicht zu entscheiden vermochte. Das war die Tochter und das einzige Kind des alten Burgherren im benachbarten Birkach. Das Rittergut Birkach grenzte an Obersiemau. Ein Heerweg verband die beiden Burgen, und wo er über die Grenze führte, stand am waldigen Berghang als Grenzmal und Wahrzeichen eine uralte, riesige Eiche.
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Wie es nun meist geht, wenn die Hausfrau gestorben und der Hausherr alt und kränklich ist, so ging es auch im Burggut zu Birkach rückwärts und oft war schier kein Auskommen mehr, so dass der Burgherr, der das Ende kommen sah, seine Tochter drängte, sich doch endlich zu entschließen, welchen der Jungherren von Obersiemau sie nehmen wolle. In ihrer Bedrängnis vertraute sich die Freiin ihrer alten Amme an, und diese gab ihr den Rat, sie solle beide Brüder zu sich einladen und sie wählen lassen zwischen zwei Gaben: ihrem roten Strumpfband und ihrem blauen Rockenband. Welcher das Rockenband wählte, den solle sie heiraten.
So geschah es auch. Die beiden kamen, der Blonde zu Fuß, der Schwarze stolz zu Roß. Als es zur Wahl kam, griff der Schwarze gleich nach dem Strumpfband, der Blonde aber nahm still das Rockenband an sich. Wie nun die Jungfrau errötend dem Blonden ihre Hand reichte und ihm gestand, dass sie seine Frau werden wolle, packte den anderen der Jähzorn. Er stürzte davon und ritt ohne Gruß nach Hause.
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Nicht lange danach kam einer aus Bamberg von des Klosters Leuten an Burg Birkach vorbei und wurde vom Burgherrn genötigt, einzukehren und einen Becher Wein auf das Wohl des Brautpaares zu trinken. Er sollte auch den Hochzeitswein besorgen. Als es Abend war, nahm der Bamberger Abschied und ging auf der Straße nach Obersiemau weiter.
Es war ein trüber und finsterer Abend. Man konnte nur schwerlich jemanden erkennen. Wie der Mönch an die Eiche kam, wo im tiefen Schatten der Zweige ein völliges Dunkel herrschte, stürzte plötzlich der ältere Junker von Obersiemau, der sich dort auf die Lauer gelegt hatte, hervor und durchstach ihn mit seinem Schwert. Der Mönch konnte gerade noch ein „Amen“ sagen und verschied.
An der Stimme erkannte der Junker, dass er nicht seinen Bruder, sondern einen Fremden erstochen hatte. Als er sah, dass es einer aus dem Kloster war, entsetzte er sich so, dass er ohne Abschied auf und davon ging. Er kam nicht wieder heim, sondern starb in fremden Kriegsdiensten.
Ein Mönch war es, der seine letzten Grüße in die Heimat brachte.
Quellenhinweis: Karl Mönch