Der eigennützige Wirt

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Eine Erzählung aus Thüringen vor Jahr und Tag

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Ein Blick aus der Vogelperspektive in das Thüringer Land.
Auf dem Foto ist die Ortschaft Theuern zu sehen.

Foto: Archiv © Ulrich Göpfert

In einer Stadt in Thüringen gab es vor langer Zeit einen kurzweiligen aber eigennützigen Wirt, der riß seltsame Possen. Einst kam ein Gast der auf den Weg nach Suhl war mit einem großen Ranzen in sein Wirtshaus. Da sagte der Wirt zum Gast: "Landsmann, tu den Ranzen ab und rück näher heran, dass noch einer neben dir sitzen kann!" Der Fremde, der geheime und wertvolle Sachen in seinem Ranzen hatte, sprach: "Mein lieber Wirt, ich gebe meinen Ranzen nicht von mir." - Na gut, sagte der Wirt, "so musst du auch das Mahl für ihn zahlen.

Der Gast lachte und sprach: "In Gottes Namen!" Und richtig, nach dem Essen musste der Fremde auch für den Ranzen das Mahl bezahlen. Er schwieg still, aber ärgerte sich sehr. Nachdem er in Suhl seine Geschäfte erledigt hatte, trat er den Rückweg an und kam wieder in dasselbe Wirtshaus. Der Wirt erkannte ihn gleich, verspottete ihn und sprach: "Heute wirst du deinen Ranzen wohl freiwillig ablegen!" Der Gast sagte: "Nein, und wenn ich noch einmal für ihn bezahlen sollte, so würde ich dies nicht tun!"

Als man sich zu Tisch setzte und der Gast seinen Ranzen anbehielt, sagte der Wirt, er müsse auch für den Ranzen bezahlen. Doch die Rede des Wirts kümmerte den Gast ganz und gar nicht, bis der Braten aufgetragen wurde. Da sagte er zum Wirt: "Hört Ihr, Herr Wirt, weil ich für meinen Ranzen voriges Mal gezahlt habe und diesmal wieder zahlen soll, so muss ich ihm unbedingt auch zu fressen geben; denn er ist leer geworden. Er nahm vom Tisch drei gebratene Hühner und steckte sie in den Ranzen, dazu zwei große Brote. Als dann später der Käse kam, der ebenfalls sehr gut schmeckte, schnitt er auch davon noch zwei große Stücke ab und steckte sie in den Ranzen.

Zu diesem Vorgang machte der Wirt ein saures Gesicht, und es verdroß ihn sehr. Wie das der Gast bemerkte, sprach er: "Herr Wirt, es wäre ein unbilliges Ding, wenn einer zweimal zahlen und sich nicht einmal satt essen sollte!" Die anwesenden Wirtshausbesucher lachten, grölten und verspotteten den Wirt. Der aber machte gute Miene zum bösen Spiel, nahm ein großes Glas voll Wein, schüttete es in den Ranzen und sprach: "Es möcht` ihm gut bekommen!" Daraufhin brach in der Gaststube ein noch größeres Gelächter aus.

Quellennachweis: Michael Lindener, Nachbearbeitung Ulrich Göpfert