Aus dem Leben eines Schulmeisters
im Coburger Land des 19. Jahrhunderts
Nach einer Aufzeichnung von Adolf Schneyer
Ein Blick auf Neukirchen im Lautergrund
2008 © Ulrich Göpfert
Im ersten Jahr des neuerstandenen Kaiserreichs ging in einem bescheidenen Schulhaus unseres Coburger Landes das Leben eines braven und eifrigen Lehrers zu Ende, der die letzten Jahre bei seinem Sohn und Nachfolger gelebt hatte.
Er war noch ein Kind des 18. Jahrhunderts gewesen, stammte aus dem Bauerntum des Rodacher Bezirks als ferner Nachfahre eines von Kroaten und Schweden reichlich drangsalierten Kriegspfarrers und war selbst wieder der Stammvater einer Familie von Lehrern und Geistlichen geworden.
Bergkirche Höhn
2008 © Ulrich Göpfert
Unser Johann Georg war vom 15. Lebensjahr ab unter den ersten Jahrgängen des als Seminar für planmäßige Lehrerbildung eingerichteten Baggischen Instituts(1806) in Sommerkursen geschult worden und hatte jedes mal im Winterhalbjahr das Leben eines Präzeptors (Lehrer, Erzieher) mit Wandeltisch und Schulhalterei im Umherziehen auf den Bergdörfern Höhn, Brüx, Rüttmannsdorf und Weimersdorf geführt. Wenn damals sein Umsingen mit den Schulkindern zehn bis zwölf Gulden einbrachte und der Schullohn ähnliche Höhen erklomm, wenn das Deputat an Korn und Flachs richtig und voll einkam, war er schon zufrieden, wie aus seinem hinterlassenen Lebensbuch hervorgeht. Die Zeit war ja nicht mehr fern, wo aus der Präzeptur der Schulmeister schlüpfen durfte, dessen schon vornehmere Bezeichnung in kurzem Schullehrer hieß, bis dann erheblich später in einem dem Vollklang der menschlichen Singstimme meist nicht mehr ganz zuträglichen Lebensalter derKantorin Erscheinung trat.
Heiligkreuzkirche Coburg
2008 © Ulrich Göpfert
Johann Georg absolvierte im Seminar seine entsprechenden Prüfungen vor demhochpreißlichen Konsistorio, schlug sich in der Landeshauptstadt (Coburg) mit acht Gulden Monatsbedarf für Kost und Wohnung bei der Witwe Beckin im Heiligen Kreuz schlecht und recht durch, trieb in einem der Sommer hauptsächlich Musik und fand dabei Anschluß an einem Kreis junger Leute, die sich um einen gemieteten Flügel versammelten. Zum Schlussball dieses musikalischen Kränzchens in Ketschendorf fuhr man luxuriös in Kutschen. Seine dazu ausgewählte Tänzerin war Jungfer Regina Krämerin vor dem Judentor.
Schloss Rosenau
2008 © Ulrich Göpfert
Dieser zuliebe machte Johann Georg auch eine Sommerfahrt zum Neustadter Vogelschießen mit, deren Einzelheiten und glücklichen Zufälle bis zum einsamen Endspaziergang durch die neuangelegte Rosenau begreiflicherweise im Bericht etwas durcheinander geraten sind.
Um dieser Regina willen bemühte sich der Junglehrer von dazumal auch um eine feste Schulstelle. Dies gelang im Spätherbst 1819; sie wurde ihm nicht weit von der Gegend zugewiesen, wo er bisher seine Schäflein nomadisierend geweidet hatte. Der Kandidat wurde nochmals geprüft, besonders auf Bibelfestigkeit (das war eine harte Nuss aufzubeißen); sodann wurde er die Gemeinde vorbeschieden, die Bedingnisse festgelegt und ein Probesingen beim Gottesdienst veranstaltet. DasSchlagen der Orgel als Prüfungsleistung musste wegfallen, denn es war im Kirchlein keine da. Ihre Beschaffung sollte der erste geschäftlich-technische Auftrag des neuen Schulmeisters werden; er wurde aber daneben zum Stein des Anstoßes und zum Gegenstand des Streites, dessen Verlauf und Ausgang für die Zeit von damals, ihre Spannungen und Verhältnisse bezeichnend erscheinen.
Im folgenden Februar begibt sich der Schulmeister nach Gießübel auf der Höhe des Thüringer Waldes, um vom dortigen Kollegen eine alte Orgel zu kaufen. Sein Wanderbericht ist im altertümlichen Stil der umständlichen Aufzählung gehalten. Die Orgel wird für 100 Gulden erworben. Dann machte ich, dass ich wieder nach Hause kam.
Die Gemeinde ist über die Orgel, wie üblich, geteilter Meinung. Es stellt sich heraus, dass der Altar 4 bis 5 Schuh vorwärts gerückt und auch der Stein versetzt werden muss. Dies stellten sich nun manche vor, wie wenn er weiß wie viel Kosten verursachte.
Der Pfarrer im Hauptort, der zu den bestimmten Tagen ins Filial kam, war mit der Beschränkung seiner an sich schon verschlagartigen Sakristei auf einige Schuh (früheres Längenmaß) im Quadrat auch nicht zufrieden und berichtete darüber höheren Ortes. Der Oberförster jedoch ein Herrscher im Wald und auch im Dörflein veranlasste die Aufstellung der Orgel, ohne den Bescheid des Konsistoriums abzuwarten. Mitte März stand sie da, es gab Termine drin in der Stadt, aber sie sind zu unserm Besten ausgefallen, nur wurde gesagt wiederum das Übliche, wenn wieder etwas vorfallen sollte, so sollte man es doch erst melden.
Kirche Neukirchen
2008 © Ulrich Göpfert
Am Gründonnerstag aber geschah es. Da nun der Pfarrer eine entsetzliche Bosheit auf mich hatte und vorher doch keine Ursache auf mich haben konnte, um sie an mir auszulassen, so gab er mir nach dem Abendmahl im Beisein aller Leute einen ordentlichen Verweis. Um in der Kirche den Spektakel nicht noch größer zu machen, sagte ich nichts dazu. Nach der Kirche musste ich in das Haus des Herrn Oberförster und die Gotteskastenrechung vorlegen. Da ging es dann wieder mit der Orgel an, und ich und der Schultheiß, wir beide mussten das meiste dabei leiden, Etliche Tage darauf zeige ich es bei der hochpreislichen Konsistorio (Kirchenräte) an. Wie es aber ist, so hat mein Lebtag schon so geheißen, dass keine Krähe der andern ein Auge aushackt, so gilt es auch jetzt noch, zumal da sich der Pfarrer...¦ Hier bricht die Aufzeichnung mit einigen Spuren der Verärgerung ab. Der Schulmeister also wird vor den Kirchgängern scharf zurechtgewiesen in einer Sache, in der er nicht der Maßgebende war, der Ortsgewaltige (Oberförster) entlastet ihn ausdrücklich, aber die Beschwerdesache geht blind aus.
Von dem Schulhaus, in das Johann Georg nach ausgestandener Anfechtung seine Regina heimführte, ist kein Stein mehr vorhanden, er selbst ist nach 25 Jahren, erst sollten es nur 4 bis 5 sein, in eine bessere Stelle eingerückt und hat seine sechs Kinder von der auch dort bescheidenen Einnahme aus Gehalt, Kompetenzen und Akzidenzien (verschiedene kleinere Erträge) versorgt.
Das Forsthaus ist als solches längst aufgegeben, der Weg nach dem Hauptort des Kirchenspiels als landschaftlich empfehlenswert gezeichnet, die Straßenkurve um das uralte Kirchlein ist im Zug der Asphaltierung glatt und sauber hingelegt. Es war ein Zusammenstoß im Laufe einer nun abgeschlossenen Entwicklung, und im Landesarchiv mögen die diesbezüglichen Akten in Frieden ruhen.
Der jüngste Sohn Johann Georgs, des ersten wirklichen Schulmeisters von Neukirchen, ist Ferdinand Schneyer gewesen, der Begründer des Elementar- und Heimatkunde-Unterrichts in Coburg, Lehrerbildner und Waisenerzieher im Augustenstift.