Eine Bauernhochzeit

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Eine Bauernhochzeit vor 150 Jahren im Coburger Land
Sitten und Gebräuche anlässlich eines solchen Festes 

 
Kirche St. Laurentius in Meeder/Cbg.

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Am Donnerstag vor Pfingsten waren die Meederer in einer gewissen freudigen Erregung. Ein angesehenes Paar wollte sich kopulieren (trauen) lassen. Eigentlich sollte die „Hochzig“ (Hochzeit) erst am 2. Feiertag stattfinden. Allein der Mond war bis dahin schon wieder im Abnehmen begriffen, und bei „abnehmes Mahs“ (abnehmenden Mond) läßt sich von dieser Gegend kein Vernünftiger trauen. Es ginge sonst „hinterschich“ (rückwärts) mit dem Haushalt.

Schon seit längerer Zeit ging in Meeder und Umgebung das Gemunkel, dass der Gauerstadter Hannpaules-Gottlieb der Meederer Beckenbauers-Dorothee zu Gefallen liefe. Schon an mehreren Sonntagen kam er mit einigen anderen Burschen ins Meederer Wirtshaus, was er früher nicht zu tun pflegte. Dazu machte sein Vater, der alte Hannpaule, am Sonntag vor Petri einen Zuspruch beim Beckenbauer, um sich in dessen Stall ein „zweijähriges Stierla“ anzusehen, das ganz gut zu einem gleichaltrigen Stück Jungvieh paßte, dass er selber aufgezogen hatte. In Wahrheit aber war es vielmehr deshalb, um überhaupt den Viehbestand und noch gar manches andere in der Wirtschaft des Beckenbauern in Augenschein zu nehmen und sich nochmals gründlich von dem Stand der Dinge zu überzeugen. Denn ein alter erfahrener Landwirt, wie der Hannpaule es war, sieht auf dem Gang durch den Bauernhof viel mehr, als ein Laienauge. Kurz und gut, der Stierkauf wurde abgeschlossen und die beiden Bauernfamilien waren dadurch von jetzt ab in etwas nähere Beziehungen zueinander getreten. Auf dem Petrimarkt in Coburg wurde die Sache vollends fertig. Denn die beiden jungen Leute kamen dort wie viele andere auch zusammen. Gottlieb ging mit der Dorothee ins „Spiel“ (Theater) und bezahlte sogar das Billet (Eintrittskarte) für sie. Am nächsten Sonntag war Verspruch (Verlobung), und die Hochzeit wurde auf die Woche vor Pfingsten festgesetzt.

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Eine Illustration von Rudolf Köselitz

2015 Repro: Ulrich Göpfert

Die letzten Schneereste an den Winterlagen der Flur schmolzen immer mehr zusammen, die Wiesengründe kleideten sich in frisches Grün, und in den Herzen der Brautleute blühte die Hoffnung zart und lieblich auf. Für Dorothee schickte es sich jetzt nicht mehr, des Abends mit den Mädchen singend dorfauf und dorfab zu ziehen, und Gottlieb setzte sich im Wirtshaus, wenn es irgend ging, an den Männertisch, um zu zeigen, dass er nunmehr ernstlich damit umgehe, die „Bummschuh“ (Bubenschuhe, das heißt die Burschenmanieren) auszuziehen und einen „gsetzten Mann“ zu spielen.

So kam allmählich die Hochzeitswoche heran. Die Kuchen pflegte die Braut selbst zu backen, um an deren Geraten oder Mißlingen auf ihr künftiges Glück oder Ungemach vorbereitet zu sein. So buk denn auch Dorothee ihre Hochzeitskuchen unter geringer Beihilfe der Mutter und hatte die Freude, ihr Werk im Ganzen geraten zu sehen. Am Hochzeitstag fuhr der Bräutigam im schwarzen Kirchenrock und Zylinder, einen mächtigen Strauß an der Brust, nach dem Heimatort der Braut und wurde von den Schwiegereltern mit Glückwünschen empfangen. Im Haus selbst herrscht die reine „Vierzehn-Notwendigkeit“, das heißt es gibt vollauf zu tun. Wenn auch in der Küche die mächtigen Braten bereits zugerichtet, in den Kammern die Betten frisch überzogen und im Hof die Wagen und Pflüge in eine gewisse übliche Richtung gebracht sind, so gibt es doch noch allerhand Gegenstände beiseite zu räumen und da und dort ordnende Hand anzulegen.

 
Schrank von 1829, zu sehen in der "Alten Schäferei, Ahorn" / Coburg

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Die Hauptsorgfalt aber wird der Braut gewidmet, welch in ihrer Kammer von geschickten Frauenhänden festlich geschmückt oder, wie man in dortiger Gesellschaft sagt, „geputzt“ wird. Endlich, nachdem etwa noch ein Band in die richtige Lage gebracht oder eine Falte am Rock zu Recht gerückt ist, tritt sie, ein Kränzchen auf dem Kopf und ein Spitzentaschentuch in der Hand, vor ihren Bräutigam, welcher sie mit Händedruck und Kuß empfängt. Vor der Haustür und im Hausplatz stehen schon die gaffenden Schulkinder und gewisse, sich überall neugierig vordrängende Erwachsene auf dem Sprung, um möglichst viel von den Geldstücken zu „krabbsen“, welche der Bräutigam von Zeit zu Zeit, wo gerade eine größere Menschengruppe am Wege steht, „auswirft“. Das Rollwägelchen steht schon im Hof bereit, und mit „Gut Glück!“ tritt das Paar aus dem Haus. Rasch werden die Pferde angetrieben, schon um den vielen Belästigungen zu entgehen, die dem Bräutigam von jung und alt wegen des Auswerfens zugemutet werden. So oft nur eine „Hamvell“ (Handvoll) Geld unter eine Gruppe Kinder geschleudert wird, erfolgt ein wahres Purzeln und Überschlagen der „Krabbsenden“, namentlich wenn der Wurf über eine Hecke oder in den Graben ging. Doch nur auf kurze Strecken hat sich der Bräutigam durch einen gezielten Wurf Ruhe verschafft. Überall wartet man seiner. Selbst unterwegs zum nächsten Kirchdorf, wo die Trauung stattfindet, kann er den Anfechtungen nicht entgehen, und bei den ersten Häusern haben die Maurer, welche dort gerade arbeiten, eine bunte Schnur über den Weg gespannt, um auch ein gutes Trinkgeld für sich herauszulocken.

 
Ehemalige Schule, heute Friedensmuseum in Meeder/Cbg.

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Das Läuten der Glocken und das Knallen der Büchsenschüsse, welche da und dort aus einem verborgenen Dachwinkel abgefeuert werden, verraten überdies noch genau die Zeit, wenn man sich am besten zum Fange aufzustellen hat. So geht denn das „Aufhalten“ fort, bis es an der Kirchhofsmauer noch einmal tüchtig Geld regnet. Die Kirche steht voll Neugierigen, die sich überzeugen wollen, ob`s der Braut schwer ankommt oder nicht, ob sie vielleicht sogar „flennt“ (weint). Der Geistliche hält die Rede und segnet das Paar ein. Ringe zu wechseln ist nicht Sitte, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man sich keine zu schenken pflegt. Wohl aber achtet man darauf, am Altar dicht nebeneinander zu stehen, wodurch ein inniges Eheleben verbürgt werden soll.

Die Schmiedin hatte ihr besonderes Augenmerk darauf gerichtet, ob nicht eines der beiden Neuvermählten eine feuchte Spur unter der Fußsohle zurückließe; denn bei wem dies der Fall ist, der muß zuerst aus dem irdischen Dasein scheiden. Diesmal betraf es die Braut. Die Schmiedin erzählte es aber im Vertrauen nur ihrer Nachbarin der Bätzen-Dorl.

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Truhe von 1702, zu sehen in der „Alten Schäferei, Ahorn“/ Coburg

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Bei der Rückfahrt ins Hochzeitshaus wiederholte sich das Geldauswerfen, bis dann das Paar die Haustür glücklich hinter sich hat. Beim Eintreten wird ihm noch Brot, Salz und ein Schluck Wein gereicht, damit es daran in Zukunft nicht mangelt. Die Mutter der Braut stellt später fest, dass ihre Tochter nur deswegen das Hausregiment führe, weil sie am schnellsten das Glas Wein getrunken habe. Das Haus hat sich unterdessen gefüllt; denn „die Freundschaft“, das heißt Vetternschaft von nah und fern hat sich mittlerweile eingefunden und wird mit den Worten: „Laßt euch nett so nürtig“ (nötigen)!“ aufgefordert, von dem Kuchen, Semmelbrot, süßen Likör und dergleichen, das freigiebig und gastfreundlichen angeboten wird, zu genießen.

Gegen Abend hin geht’s an den „Tiesch“ (Tisch). Der Aufforderung des Hausherrn oder seiner Ehefrau: „Setzt euch ra zamm“ (zusammen heransetzen) wird indes nur zögernd Folge geleistet. Er nach mehrmaliger Wiederholung der Mahnung: „Na ziert euch nett su lang, tutt, als wenn er derhemm wärt!“ (als wenn ihr zu Hause wäret) sucht sich jedes irgendeinen Platz nach Gutdünken und genießt mit möglichst anständiger Manier (gutem Benehmen) die kräftigen Speisen, welche eine geschickte Kochfrau aus der Umgebung hergerichtet hat und welcher während der Mahlzeit lobend gedacht wird.

Außer der „Freundschaft“ findet sich auch sonst noch manch ungeladener Gast ein, den merkwürdigerweise gerade am Hochzeitstag irgendein Geschäft ins Haus führt und der dabei natürlich die Gastfreundschaft genießen darf. In der Stube hat sich mittlerweile ein bedeutender „Wärmegrad“ entwickelt, so dass die Fenster „schwitzen“ und die Gäste nicht minder. Aber an das Öffnen der Fenster wird meist erst später gedacht. Anfangs, beim Beginn des Essens, wird wenig gesprochen, es findet sich noch kein geeigneter Stoff dazu. Erst allmählich, nachdem einige Mal getrunken worden ist und irgendein Beherzter trotz der Anwesenheit der Geistlichkeit (Pfarrer und Lehrer) keck herausrückt, bekommen auch die übrigen Mut sich zu räuspern. Gewöhnlich findet sich ein bekannter Spaßvogel unter der Tischgesellschaft, der das große Wort führt und mitunter einen recht derben Witz in das Gespräch hinein wirft – namentlich muß sich das junge Ehepaar mancherlei unzarte Anspielungen gefallen lassen – so dass lautes Lachen und „Bauchschütteln“ darauf erfolgt.

Bei unserer Hochzeit lag die Rolle des Wortführers in den Händen des Schlosskommandanten, eines munteren, schon in vorgerückten Alter stehenden Bauern, dessen Vermögensverhältnisse zwar nicht glänzend standen, der aber als flotter, schlagfertiger Gesellschafter überall beliebt war. Gar manchen tollen Streich hatte er verübt und nachher unter viel Beifall den Tischgenossen bei allerlei Gelegenheiten zum Besten gegeben. Vielleicht hatte er auch für diese Hochzeit etwas in Bereitschaft.

„Wie ist` s denn mit dem Stierla, das der Vatter neulich gekäfft hott, paßts denn zum annern?“ Oder: „Wie schmeckt dir denn das Meederer Bier, du hasts ja in der letzten Zeit ordentlich probiert?“ wird schalkhaft gefragt, und manche verfängliche Frage und Bemerkung dazwischen geworfen, so dass das Gelächter immer wieder hervorbricht.

 
Eine Illustration von Rudolf Köselitz

2015 Repro: Ulrich Göpfert

Am Schluss der Tafel wird ein Teller mit einem Spüllappen in der Runde herumgereicht, in welcher jeder Gast ein Trinkgeld für die Köchin legt. Sind auch Musikanten da, so wird getanzt, wozu alles, was an „Weiberleuten“ im Hof aufgeboten werden kann, von den Männer und Burschen beigezogen wird. Das Hujuhuch! wird auch hierbei so kräftig, als es die Kehle hergibt, als Ausdruck übermütiger Lust herausgeschmettert. Hei, wie klappt da der Fußboden unter den festen Tritten der Tänzer!

 
Altes Bauernbett, zu sehen in der „Alten Schäferei, Ahorn“ / Coburg

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Der Hund draußen an der Kette knurrt, und das Vieh im Stall brummt ob der ungewohnten nächtlichen Ruhestörung im Haus. Aber das kümmert die Vergnügten nicht. An Schlafen darf natürlich nicht gedacht werden, und man gilt nicht als echter Hochzeitsgast, wenn man sich vom Schlaf übermannen läßt. „Heit wärd durchgemacht!“ (heute wird ausgehalten) heißt es eben, und dabei bleibt es, Punktum.

Sollte sich aber dennoch diese oder jene der älteren Personen gegen Morgen auf ein Bett legen, so ist die Ruhe nur von kurzer Dauer; denn lärmend naht der Troß, schlägt die Tür auf, scharrt mit einem Karst (Erdhacke mit zwei Zinken) vor dem Bett, als würden Steine gegraben und ruht nicht eher, als der Schlaftrunkene ernstlich Anstalten macht, wieder aufzustehen und den bereits gebrauten Kaffee mitzutrinken.

 
Schlafkammer, steht im Reichenbachhaus (Heimatmuseum) Grub am Forst/Coburg

2015 Foto: © Ulrich Göpfert

Ist dies geschehen, so zieht – der Tag ist inzwischen angebrochen – die ganze Hochzeitsgesellschaft durch das Dorf, allerhand übermütige Streiche verübend, gerät ins Wirtshaus, spielt Kegel, macht der Schule einen Besuch, veranlaßt den Lehrer, die Schüler heimzuschicken und sich dem Zug anzuschließen.

Zur Essenszeit kehrt man wieder ins Hochzeitshaus zurück. Der Appetit ist freilich schwach, wie sehr auch die Hausherrin bemüht ist, die Speisen den üblen Magenverhältnissen der Gäste anzupassen. Bloß der unverwüstliche Schlosskommandant steht immer auf den Posten und hat stets das richtige Zauberwort zur Verfügung um der drohenden Abspannung der Gemüter entgegenzuwirken.

Inzwischen wird auch ein Akt ernsterer Natur erledigt, dem ein fast feierlicher Charakter anhaftet, - die Geschenke werden dem Brautpaar überreicht. Sie bestehen in Haus- und Wirtschaftsgeräten, oder, je nach dem Vermögensstande und dem Grad der Freigiebigkeit, in einigen blanken Goldstücken, welche den jungen Leuten unter Glückwünschen für die Zukunft überreicht werden. Der Braut rollen wohl bei solchen Zeichen der Liebe und Gutherzigkeit Tränen der Wehmut über die Wangen. Ist es doch der letzte Tag, den sie im lieben Elternhaus mit den vielen süßen Erinnerungen zubringen darf. Denn, noch einige Stunden, und es geht ans Abschiednehmen.

 
Illustration von Rudolf Köselitz

2015 Repro: Ulrich Göpfert

In der „öbern Stumm“ (Stube im 1. Stockwerk) sind sorgliche Frauenhände bereits damit beschäftigt, gehörige „Hochzigbündel“ aufzubauen und den scheidenden Gästen Krapfen, Kuchenviertel, Speckstücke und ähnliche annehmbare Waren einzupacken. Die Geschirre (Pferdegespanne) warten bereits im Hof. Ist noch Musik da, so wird ein Trupp nach dem anderen „zun Dorf naus geblosen“, bis dann das junge Ehepaar mit Einbruch der Dunkelheit selbst Abschied nimmt, um in die neue Hauswirtschaft einzuziehen.

Noch lange wird in der Umgebung von reich und arm von dieser Festlichkeit gesprochen, ja, sie wird sogar als eine Art Zeitrechnung, angewandt, indem man von mancher anderen gleichzeitigen Begebenheit sagt: „Es war um die Zeit, wie dem Hannespaules-Gottfried und der Beckenbauers-Dorothee ihr Hochzig wuar“.

Diese Erzählung erhielt ich vor einigen Jahren von einem Bekannten. Den Urheber dieser Erzählung weiß ich leider nicht. Sollte Ihnen, liebe Leser zu dieser Erzählung etwas bekannt sein, lassen Sie es mich bitte wissen! – Vielen Dank!