Das Maienfest
Eine Erzählung aus dem Thüringer Land
Eine Illustration von Rudolf Köselitz
In dem südthüringischen Flecken Hirschbach rüsteten sich Burschen und Mädchen für den Maien. Die Häuser wurden geschmückt, die Straßen und Plätze gekehrt, Kleider und Blusen gewaschen und geplättet, und es lag so viel Sonnenschein, Blütenduft und Vogelsang in der Luft, dass die Mädchen wie von selbst zu singen begannen. Die Burschen hielten wohl dazu die zweite Stimme oder stampften mit den Füßen den Takt, und gar manches Scherzwort wagte sich hervor, über das man sonst recht erstaunt gewesen wäre. Es war heute alles heiter und leicht, die böse Laune hatte sich in den fernsten Winkel vertrieben. Nur aus dem kleinen Rathaus war sie noch nicht verschwunden. Saß da doch der Vogt am Tisch und schnitt ein finsteres Gesicht; nicht einmal der Wein, den er reichlich trank, konnte ihn erheitern. Zuweilen ließ er die Faust schwer auf den Tisch sausen, schimpfte mit unflätigen Worten vor sich hin und versank erneut in Nachdenken. Endlich aber stand er auf, stieß den Stuhl beiseite und befahl seinem Knecht, die Ratsväter herbeizurufen. Als die Männer um den Tisch versammelt saßen, blickte er sie der Reihe nach aus seinen kleinen Augen böse an, stützte sich mit dem Arm schwer auf den Tisch und sagte: "Ihr rüstet euch, den Mai zu feiern. Das ist ein gottloses Fest, und ich verbiete, dass ein Maibaum errichtet wird. Das Volk ist zu ausgelassen an diesem Tag, es vergißt zu leicht was es der Obrigkeit schuldet. Nützlicher wäre es wahrhaftig für euch, zu schaffen und zu arbeiten, damit ihr die Abgaben pünktlich zahlen könntet! Ich untersage das Fest. Wer es aber wagen sollte, sich gegen mein Verbot zu stellen, dem drohen Prügel und Kerker!" Dann stampfte er davon. Die Ratsväter wußten nicht, was sie tun sollten. Sie ließen den Befehl des Vogtes im ganzen Flecken verkünden und verkrochen sich in ihre Stuben. Denn wohl war ihnen nicht zumute.
Gar bald hatte es sich herumgesprochen, dass der Maien nicht gefeiert werden sollte; doch ließen die Burschen und Mädchen nicht so schnell die Köpfe sinken wie die Alten. Sie steckten vielmehr die Köpfe zusammen, und es dauerte nicht lange, da schwang sich ein fröhliches Lachen über die Häuser, dass die Alten sich ansahen und sich zunickten, ja, sich heimlich zuflüsterten: "Laßt nur, sie werden`s schon machen"!
Die Mädchen kehrten, wischten und putzten weiter, die Burschen aber wanderten am späten Nachmittag, mit allerlei Bündeln und Taschen versehen, dem nahen Walde zu. Hier schlugen sie die höchste Tanne, schälten den Stamm und schmückten die Krone mit Bändern, Schnupftüchern, mit Weinflaschen, Würsten und Schinken. Dann brachen sie Birkengrün und legten es neben den Baum ins kühle Moos.
Indes kam die Zeit heran, da der Vogt, wie jeden Abend, zum Wirtshaus ging, um den Schlaftrunk zu nehmen. Der Wirt war ein schlauer Kerl, der bei den Reichen wohl seinen Vorteil zu wahren wußte, aber sonst auch gerne ein Auge zudrückte und sich mit den Burschen gut verstand. Als sie zu ihm ins Wirtshaus traten und leise mit ihm zu flüstern begannen, lachte er und versprach ihnen, sein Bestes zu tun. Nun polterte der Vogt herein. Der Wirt schenkte ihm so fleißig das Glas voll, dass er bald nicht mehr fest auf dem Stuhl sitzen konnte und wie ein Grashalm im Winde hin- und herschwankte. "Sie werden nicht f...fei...feiern", lallte er und der Wirt nickte bestätigend, schenkte noch einmal ein und lachte vor sich hin.
Gegen Mitternacht öffnete sich plötzlich die Tür, und eine weißgekleidete Frau erschien auf der Schwelle. Sie trug eine Blütenkrone auf dem Haupt, das Gesicht aber war bedeckt von einem feingesponnenen Schleier, so dass ihre Züge nicht zu erkennen waren. Sie trat zum Vogt, faßte ihn am Arm und befahl ihm, ihr zu folgen. Andernfalls würde sie den Kobolden befehlen, ihn ihr nach zu treiben. Der Vogt wackelte mit dem Kopf. Er verstand nichts mehr. Der Wein machte seine Glieder schwer und schläfrig, er hatte den Wunsch, sich zur Erde sinken zu lassen und zu schlafen. Da sprangen plötzlich viele bucklige, schrecklich anzusehende Wesen herein. Sie packten den Vogt, schütteten ihm einen Humpen Wein über den Kopf, schlugen ihn mit dürren Birkenruten auf den Rücken, stachen ihn mit feinen Nadeln in die Waden und zerrten ihn mit sich. Wohl schrie der Vogt Zeter und Mordio, aber einer der Kobolde schob ihm ein Stück Speck in den Mund, da war er gleich still, weil er kauen mußte, er wäre sonst am Speck erstickt.
Sie kamen zum Markt. Da stand der Maienbaum, den die Burschen im Schutz der Dunkelheit aufgestellt hatten. Als der Vogt ihn sah, wollte er zu toben beginnen, aber die Maifrau hieß ihn schweigen und sagte zu ihm: "Ich habe mit den Kobolden den Maibaum errichtet, und wenn du morgen das alte Fest des ersten Mai stören willst, werden dich die Kobolde holen, und es wird dir schlecht ergehen. Zeigt ihm, wie ihr es treiben könnt!"
Die Kobolde hoben ihn auf und trugen ihn davon. Wohin? Erst zum Mühlenbach. Sie warfen ihn ins Wasser, zogen ihn heraus, stießen ihn wieder hinein, bis der Vogt um Gnade flehte und versprach, sich ganz ihren Wünschen zu fügen. Da nahmen sie ihn wieder auf und schleppten ihn zu einem großen Heuschober, der mitten auf dem Feld stand. Dort legten sie ihn nieder, deckten ihn bis zur Nasenspitze mit Heu zu und gingen zufrieden ins Dorf zurück. Dort angekommen, warfen die Kobolde die Masken ab, die Maifrau lüftete den Schleier, und nun lachten sich Burschen und Mädchen an, sie faßten sich an den Händen und tanzten im Mondschein um den Maibaum, und es wollte des Scherzens und Singen kein Ende nehmen.
Dieser Maibaum wurde von Gabriele Göpfert gestickt
Dann brach der Morgen an. Die Maikönigin, gefolgt von vielen geschmückten Kindern und dem Laubbischof, schritt durch die Gassen, und die Menschen jubelten ihr zu, zuletzt aber kam der "Wilde Mann", der ganz in Moos eingewickelt war und seine Späße mit den Zuschauern trieb. Um den Maibaum wurde getanzt und gelacht, und alle freuten sich des Frühlings und der Sonne. Und sie freuten sich, dass sie den Vogt doch überlistet hatten.
Der wachte erst auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Mühsam rappelte er sich hoch, wischte sich den Schlaf aus den Augen, klopfte sich das Heu aus den Kleidern und eilte zum Dorf. Als er dort ankam und die fröhlichen Menschen um den Maibaum tanzen sah, wollte er wieder zu toben beginnen, aber dann erinnerte er sich an die Nacht, und schwieg still. Doch hatte ihn ein kleiner Junge gesehen. Der zeigte nun auf den Vogt, der wie eine Vogelscheuche mitten auf der Gasse stand, und gleich brach ein solches Gelächter aus, dass der Vogt Reißaus nahm und sich in seinem Haus einschloß. Dort trank er Wein, bis er taumelnd auf sein Bett sank und der Schlaf ihn mit seiner schweren Decke zudeckte. So geschehen im Jahre 1657.
Quellenhinweis: Probst, Sagen und Märchen aus Thüringen. Berlin 1957