Das Siemauer Hexen-Hährle - 1. Teil

Das Siemauer Hexen-Hährle - 1. Teil
Sie war eine alte Zigeunerin und lebte vom
Betteln, Stehlen und Wahrsagen


Ein Blick auf die Ortschaft Obersiemau

Foto: © Ulrich Göpfert

In Obersiemau vorm Dorf draußen in der Schlucht, die sich vom „Stramberg“ herunterzieht, wohnte vor Zeiten mutterseelenallein in einem kleinen, halb zerfallenen Haus ein uraltes Weib; das konnte hexen. Es war eine alte Zigeunerin, aus weiter Fremde gekommen, und lebte vom Betteln, Stehlen und Wahrsagen. Man nannte sie im Dorf das „Hährle“. Sie verstand sich auf allerlei Zaubersprüche und Arzneien. Die Leute gingen zu ihr, wenn eine Krankheit zu heilen oder ein Gebrechen zu besprechen war. Sie fürchteten sich aber auch, dass ihnen das Hährle etwas antun könnte, und weil man sich fürchtete, konnte die Alte ruhig in ihrem Haus bleiben und ihren Schleichwegen nachgehen. Man sah sie übrigens niemals aus ihrem Haus fortgehen.

Sie konnte sich nämlich selbst verzaubern und allerlei Tiergestalten annehmen. Einmal flog sie als Rabe über das Feld, ein andermal schlich sie als Katze durch den Wald oder in die nahen Dörfer und von ihrer Beute lebte sie zuhause. Eines Tages bemerkte die Burgfrau in Obersiemau, dass ihr seit einiger Zeit öfter aus der Räucherkammer Würste und Rauchfleisch fehlten. Sie konnte aber den Dieb nicht ermitteln. In der Kammer ging nur ein kleines Loch in den Schlot und eines durch die Tür. Da kam keine Katze, geschweige ein Mensch hindurch. Es hing auch ein gutes, starkes Schloss an der Tür. Als wieder eine große Wurst aus der verschlossenen Kammer verschwunden war, klagte die Herrin es ihrem Gemahl. Der untersuchte alles ganz genau und fand, dass die Wurst gerade um die Mittagszeit während des Essens aus der Kammer geholt worden sei. Er beschloss von nun an um die Mittagszeit auf den Dieb zu lauern.


Ein Blick von Obersiemau nach Untersiemau
 
Foto: © Ulrich Göpfert

Eines Tages sah er zur Mittagszeit auf dem Fußsteig vom Mönchsbrunnen eine große, schwarze Katze herüberlaufen und durch das hintere Mauerpförtchen in das Schloss schleichen. Halt, dachte der Burgherr, das ist gewiss die alte Hexe. Er nahm ein Stück Kreide, piff den Hunden und lief auf den Steg hinaus. Dort zog er ein paar Bretter ab, damit niemand über den Steg gehen konnte und malte auf das letzte Brett bei der Pforte einen Drudenfuß mit der Kreide. Über einen Drudenfuß kann keine Hexe. Erst muss sie ihre wahre Gestalt annehmen. Kaum war der Burgherr fertig geworden, so kam auch schon aus dem Burgpförtchen die schwarze Katze anmarschiert und trug eine große Wurst im Maul.

Quellenhinweis: Karl Mönch

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