Die Zauberrute
Eine Sage über die Schäferei zu Meeder im Coburger Land
Man schreibt das Jahr 1680
Der Kammerdirektor Friedrich Born erwarb zu dieser Zeit die damals Sternbergischen Höfe und die Schäferei zu Meeder. Entgegen anderen Abmachungen ließ der hohe Herr seinen Schäfer auch auf Wiesen weiden, die ihm nicht gehörten. Die Meederer versuchten des öfteren, den herrschaftlichen Schäfer zu vertreiben. Doch half ihnen das nicht viel! Es wurden sogar einmal Musketiere aus Rodach (heute Bad Rodach) geholt, die den Schäfer vor dem berechtigen Zorn der Meederer schützen sollten. Zu jener Zeit brauchte jeder für sein Vieh soviel Weidegrund wie möglich, um es satt zu bekommen. Als die Meederer um ihr Recht in Coburg klagten, wurden sie noch verhöhnt und bedroht!
Blick vom Meederer Berg auf die Ortschaft Meeder
Foto: © Ulrich Göpfert
Der Schäfer, der es seinem Herrn recht machen musste, geriet in arge Bedrängnis. Er fühlte mit den Meederer, aber das Wohl seiner Herde war ihm wichtiger. Die Meederer beschimpften den Schäfer, sobald er auf fremden Grund weidete, sie warfen mit Steinen nach ihm und seinen Hunden. Diese waren wohl zum Hüten abgerichtet, aber Menschen griffen sie nicht an.
An einem Abend seufzte der Schäfer nach seinem unerfreulichen Tagewerk tief auf. Es hatte wieder Ärger gegeben, und betrübt überdachte er sein trauriges Dasein. Da erschien plötzlich ein altes Weiblein vor ihm. Es sah zum Fürchten hässlich aus und kicherte widerlich. "Was willst, Alte?" fragte der Schäfer missmutig. "Dir helfen guter Mann", kam es gewichtig aus ihrem zahnlosen Mund. "Mir helfen", höhnte der Schäfer, "mir kann keiner helfen, mein Herr zwingt mich, die Hut auszuweiten, die Meederer verfolgen mich mir ihrem Zorn."
"Und die Hunde?" meinte die Alte. "Die sind doch lammfromm, Menschen tun sich nichts", sagte der Schäfer. "Und wenn ich sie mutig mache?"- Das ist doch Unsinn, erwiderte der Schäfer. "Ich kann es, ich kann es. Du wirst sehen! Ich habe so meine Mittelchen!" Und wenn, dann machst du es doch nicht umsonst, gute Frau! "Das stimmt schon. Du kannst doch so gut stricken! Stricke mir Strümpfe!" Das könnte ich schon. Ob ich für dich welche stricke, oder für mich, wenn du nur helfen könntest! "Abgemacht", wisperte die Alte. "Abgemacht", versprach der Schäfer. Plötzlich zauberte die Alte ein Zweiglein unter ihrer Schürze hervor und hielt es den Hunden unter die Nasen. Die schnupperten daran und sofort ging eine Veränderung mit ihnen vor. Sie richteten sich förmlich auf, drehten die Augen heraus, fletschten die Zähne und knurrten wild und ungebändig. Der Schäfer wich erschrocken zurück. "Du brauchst dich nicht zu fürchten", spottete die Alte, "nur die anderen sollen sie ängstigen. Die müssen glauben, sie springen ihnen gleich an die Kehle!" Misstrauisch näherte sich der Schäfer seinen sonst so zutraulichen Hunden. Und wirklich, ihm gegenüber verhielten sie sich friedlich. Nach dieser Prüfung freute er sich auf den kommenden Tag. Die Alte gab ihm flugs das Zweiglein.
Das Meederer Schafhaus
Foto: © Ulrich Göpfert
Bewusst trieb der Schäfer seine Herde auf fremden Weidegrund. Das beobachteten die Meederer und kamen laut schimpfend angerannt. Der Schäfer rief seine Hunde heran, hielt ihnen das Zweiglein unter die Nasen und schon veränderten sie sich wie tags zuvor. Sie stürmten den Meederer wie toll entgegen. Die verhielten erschrocken, blickten entsetzt den wild gewordenen Tieren entgegen, und als der erste Hund jemanden anspringen wollte, da rissen sie aus, so rasch sie konnten. Der Schäfer pfiff seine Hunde zurück und freute sich über den Erfolg. Nun konnte er in Ruhe weiden; und er strickte, inmitten seiner Herde stehend, emsig an den Strümpfen. Die Meederer erzählten sich erbost, der Schäfer habe nun wilde Bestien als Hunde, man gehe im lieber aus dem Weg, um keinen Schaden zu erleiden.
Coburger Fuchsschafe
Foto: © Ulrich Göpfert
Der Schäfer hatte zwar seine Ruhe, aber die grässliche Alte trieb ihn täglich an, rascher zu stricken, mehr zu stricken. "Ich kann doch nicht hexen", sagte er zu ihr. "Dein Paar Strümpfe wird schon fertig werden!" "Paar Strümpfe! Paar Strümpfe" höhnte die Alte. "Ich habe Strümpfe gesagt, das sind viele Strümpfe, mit einem Paar bin ich nicht zufrieden!" Da merkte der Schäfer, worauf er sich eingelassen hatte. Er hätte sich die Finger wund stricken müssen, um der Alten zu gefallen. Eine Zeit lang versuchte er, ihrem Befehl nachzukommen. Es störte ihn ja niemand mehr während der Hut. Wenn nur irgendeiner ihm in die Quere kam, hielt er seinen Hunden das Zweiglein hin und die gebärdeten sich zum Fürchten und die Ruhestörer nahmen Reißaus. Bald versuchte niemand mehr, ihn zu vertreiben. Aber die Alte! Sie ließ dem Schäfer keine Ruhe! Er kam kaum zur Besinnung, immer wieder tauchte sie auf und zischte: "Wo bleiben meine Strümpfe? Stricke! Stricke!"
Das Foto zeigt die ehemalige Schafweide auf dem Meederer Berg
Foto: © Ulrich Göpfert
Eines Tages erfüllte ihn ihr Drängen mit wildem Zorn, dass er ihr das Strickzeug vor die Füße schleuderte und schrie: "Stricke selber, du Teufelsweib!" Da griff die Alte geschickt dem Schäfer in die Joppe, erwischte das Zweiglein, fluchte jämmerlich und zischte wie wild davon. Sie schrie zurück: "Der Teufel komme über dich!" Da bekreuzigte sich der Schäfer. Er merkte, das konnte keine gewöhnliche Frau gewesen sein! Das war sicher eine Hexe! Nun war er aber sein Zauberzweiglein los. Doch bewegte er wie befreit seine knorrigen Hände, die nun vom Stricken ausruhen konnten. Das war eine Wohltat! Vor den Meederer hatte er noch eine Weile Ruhe, wenn er in ihrer Flur weidete. Sie wussten ja nichts vom Geschehen. Doch eines Tages stellte jemand zufällig fest, dass des Schäfers Hunde ganz normale Hunde waren und nicht mehr so angrifflustig. Da glaubten sie alle, sie hätten sich seinerzeit geirrt!
Skulptur: "Die Zauberrute" - Standort: Schafhaus Meeder
Der 1. Baustein des heimatlichen Sagenweges der Gemeinde Meeder "Die Zauberrute" angefertigt von den Künstlern der Holzschmiede Harald Lieb. Diese Skulptur steht vor dem wunderschön renovierten Schafhaus in der Meederer Flur.
Foto: © Ulrich Göpfert
Von dem Tag an lagen der herrschaftliche Schäfer und die Meederer wieder im Streit miteinander, wenn der Schäfer seine Herde auf fremder Weide hütete!
Quellenhinweis: Volksmund