Mit dem Hubschrauber zur Kaffeetafel!
Karl-Heinz Fiedler, genannt Molly, berichtete Ulrich Göpfert eine Episode
aus der Zeit des "Kalten Krieges".
Eine Reportage mit historischen Fotos...
Wieder einmal war ein US-Hubschrauber mit Besatzung vor dem Bahnhof Görsdorf gelandet um ihr Kuchenpaket in Empfang zu nehmen. Unser Foto zeigt v.l.n.r.: Gisela Kihr aus Thüringen, die damals zu Besuch bei den Familien Sibbersen/Wulsch/Fiedler war, Klara Sibbersen und Angela Wulsch sowie die Besatzung des US-Hubschraubers
Karl-Heinz Fiedler, der Friseurmeister und ein Verwandter von mir, hatte bis vor 20 Jahren einen Friseursalon in der Geleitstraße in Coburg. Dieser wurde über Jahrzehnte von seiner Mutter Klara Fiedler, seiner Schwester Angela Wulsch und ihm betrieben. Genannt wurde er von seinen Freunden und Kunden nicht bei seinem richtigen Namen, sondern er war immer "der Molly". Vielen Coburgern ist er auch heute noch unter diesem Spitznamen bekannt.
Mit diesem Zinnteller mit Gravur und einem großen Blumenstrauß verabschiedeten sich die Hubschrauberpiloten bevor sie wieder nach Amerika verlegt wurden bei den Familien Sibbersen/Wulsch/Fiedler für die vielen Bewirtungen mit Kuchen
Aus meiner Kinderzeit ist mir in Erinnerung geblieben, dass ich dort im Friseursalon öfters meine Haare vom "Molly" geschnitten bekommen habe, wenn mein Großvater Franz Zeidler seine "schüttere Haarpracht" dort pflegen ließ. Ganz besonders gute Eindrücke habe ich dabei noch immer an die Weihnachtszeit, denn da bekam ich immer etwas Besonderes von den "Fiedlers" geschenkt. U. a. war es einmal ein bunter Bastelbogen, dann eine Lokomotive mit einigen Wagen, die man aus Pappe zusammenbauen musste, für mich war das "Weihnachten" in höchster Vollendung.
Diese Aufnahmen zeigen die erste Landung der US-Hubschrauber vor dem Bahnhof Görsdorf. Auf dem nächsten Foto bekommt der Pilot ein Tablett mit Kuchen von Klara Sibbersen überreicht, es sollte nicht der letzte Kuchen gewesen sein, den die Amerikaner dort abholten.
Es war in der Zeit Mitte der 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts und wir Kinder waren damals mit Spielsachen noch nicht so verwöhnt. Ich freute mich deshalb wie ein "Schneekönig" über solche einfachen Dinge. Der Weg zum Friseur Molly fiel mir danach nicht mehr so schwer, denn der Molly hatte eine besondere Schere, von mir damals als "Zwickschere" bezeichnet, die mir als Kind nicht besonders gefiel. Doch was tut man nicht alles um in den Genuss von Spielzeug zu kommen.
Der "Molly" hatte einen Onkel, der hieß Max Sibbersen, er war Eisenbahner von Beruf und befuhr später als Bahnbusfahrer die Strecke Coburg-Rottenbach. Gleich nach der Stilllegung der Werratalbahnstrecke Coburg-Eisfeld, hatte er den ehemaligen Bahnhof von Görsdorf auf bayerischer Seite in der Nähe von Tremersdorf gelegen, zuerst von der Deutschen Bundesbahn gepachtet.
Später wurde er von der DB-Bundesbahndirektion Nürnberg käuflich erworben und zu einem wunderschönen Wochenendhaus ausgebaut. Nach dem Stress im Friseurgeschäft unter der Woche in Coburg waren am Wochenende immer Ausruhen und etwas Werkeln in Haus und Garten auf dem Grundstück des ehemaligen Bahnhofes in Görsdorf für die Familien Sibbersen/Fiedler/Wulsch angesagt.
Und dann passierte es plötzlich an einem Samstagnachmittag Mitte der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Familien saßen gerade am gedeckten Kaffeetisch im Garten vor dem ehemaligen Bahnhofsgebäude, da knatterte ein US-Hubschrauber in Richtung Görsdorf, das ja auf Thüringer Seite liegt die Landesgrenze zur ehem. DDR entlang. An und für sich war dies nichts neues, denn zu dieser Zeit fanden immer die Routineflüge zur Beobachtung des "Eisernen Vorhanges" aus der "Adlerperspektive" statt.
Doch heute war das etwas anders! Der Pilot musste aus der Luft den gedeckten Kaffeetisch mit einem umfangreich aufgebauten Kuchen-Büffet wahrgenommen haben, oder sollte es etwa der Kaffeeduft gewesen sein? Jedenfalls drehte er mit seiner "Kaffeemühle" bei und landete in unmittelbarer Nähe des Görsdorfer Bahnhofes.
Die Familien Sibbersen/Wulsch/Fiedler haben das ehemalige Bahnhofsgelände zu einer "idyllischen Sommerresidenz" umgestaltet. Wen wundert es dann, wenn die Amerikaner mit ihren Hubschraubern hier immer eine Außenlandung vornahmen um dort eine Kaffeepause einzulegen
Der Pilot, ein Offizier, entstieg dem Luftfahrzeug und kam an den Gartenzaun des Grundstückes, nahm seinen Pilotenhelm ab und grüßte in englischer Sprache die mit offenem Mund dasitzenden Kaffeegäste. Bestehend aus der Oma Klara Fiedler, Angela Wulsch, Klara Sibbersen, Rosemarie Fiedler und dem Molly
Da aber keiner der Kaffeerundenteilnehmer der englischen Sprache mächtig war, verständigte man sich mit "Händ und Füß" wie mir, Karl-Heinz Fiedler (der Molly) erzählte, der sich dabei noch daran erinnerte, dass der Pilot seinen Namen auf die Handfläche geschrieben hat. Nach dieser kurzen Zwischenlandung und mit einem großen Kuchenpaket von den Familien versorgt, verabschiedete sich der Pilot herzlich Danksagend und entschwand in die Lüfte.
Wenn sie, liebe Leser jetzt denken, dass dies eine einmalige Episode gewesen ist, da haben sie sich schwer getäuscht. Denn jetzt ging es mit den Zwischenlandungen, jeweils an den folgenden Samstagnachmittagen, vor dem ehemaligen Bahnhof Görsdorf erst richtig los.
Zahlreiche Luftaufnahmen vom Bahnhof Görsdorf haben die Piloten als Geschenk den Familien Sibbersen/Wulsch/Fiedler mitgebracht. Wie man auf den Fotos sieht, werden die "Kaffeegäste" bereits erwartet
Auch der Pilot war nicht der Gleiche wie beim ersten Mal. Der Flugzeugführer des ersten Helikopters hat wohl seinen Kameraden, die am Fliegerhorst in Roth bei Nürnberg und Schweinfurt mit ihren Hubschrauberstaffeln stationiert waren, von der ausgezeichneten Qualität des Kuchens berichtet. Denn nun schwebten ständig wechselnde Hubschaubebesatzungen am Wochenende mit ihren Maschinen regelmäßig zur Kaffeezeit am Bahnhof Görsdorf zum Stelldichein ein, holten sich ihr Kuchenpaket ab und entschwanden.
An einem Samstag waren es einmal sogar drei Hubschrauber, die angeflogen kamen. Zwei landeten, der dritte beobachtete das Geschehen aus der Luft. Die fleißigen Frauen" vom Bahnhof" hatten nur zwei Kuchenpakete hergerichtet, aber auch für die 3. Besatzung, die sich in der Luft befand, konnte noch eines, in aller Eile, fertig gestellt werden.
Aus der Kanzel des Hubschraubers aufgenommen, erkennt man unten den Bahnhof Görsdorf. Die Ortschaft Görsdorf /Thüringen ist hinter dem Wald zu sehen
Zu dieser Zeit war auf der Brandsteinsebene noch eine Einheit von der Luftwaffe zur Flugüberwachung eingesetzt. Dort hatte man auf dem Radar diese drei US-Hubschrauber beobachtet, doch plötzlich war nur noch einer auf dem Schirm zu erkennen. Sofort wurden Grenzpolizei, Zoll und BGS alarmiert und an die vermutete Absturzstelle geschickt. Die deutschen Beamten staunten nicht schlecht, als sie die Besatzungen, der zwei vermissten Maschinen, "putzmunter" beim Abholen ihrer Kuchenpakete am Bahnhof entdeckten.
Molly, Karl-Heinz Fiedler mit einem Bekannten bei der Verabschiedung und einer angeregten Unterhaltung mit dem US-Hubschrauberpiloten
Auch die Autofahrer, die gerade zu dieser "Kaffeelandezeit" auf der Strecke Tremersdorf-Rottenbach unterwegs waren, mussten sich in Geduld üben, denn als Landeplatz hatte man inzwischen diese Straße ausgemacht, und sie wurde erst wieder freigegeben, nachdem man im Besitz des "inzwischen berühmten Kuchenpaketes" war. Einer der Piloten, der etwas Deutsch sprach, so berichtete mir Karl-Heinz Fiedler, versicherte ihm einmal, dass der Kuchen seiner Frau recht gut geschmeckt habe.
Die Hubschrauber wurden immer unmittelbar vor dem Bahnhof Görsdorf, bzw. später direkt auf der Ortsverbindungsstraße von Tremersdorf nach Rottenbach "geparkt". Die Autofahrer mussten sich bei diesen "Kaffee-Außenlandungen" immer in Geduld üben, bis sie weiterfahren konnten. Wie auf dem Foto zu sehen ist, holt sich gerade ein Hubschrauberpilot sein Kuchenpaket ab
Nach der Grenzöffnung hatten diese "Außen- und Zwischenlandungen" ein Ende gefunden. Als die US-Hubschrauberstaffel wieder nach Amerika verlegt wurde, haben sich die Piloten noch bei ihren Gastgebern mit einem Blumenstrauß und einem Zinnteller mit Gravur gebührend verabschiedet.
Angela Wulsch und ihr Bruder Karl-Heinz (Molly) Fiedler
Heute können sie wieder ohne Fluglärm ihren Wohnsitz am ehemaligen Bahnhofsgelände Görsdorf genießen, doch sagten mir Karl-Heinz Fiedler, seine Frau Rosemarie und seine Schwester Angela Wulsch, dass sie sich gerne an die Zeit der Hubschrauberlandungen zurück erinnern. Vielen Dank an Angela und Karl-Heinz (Molly), die mich bei dieser Reportage unterstützten und auch die Fotos zur Verfügung gestellt haben.