Geschichten vom Heimatschriftsteller Emil Herold
Einige Episoden aus dem Buch „Muggiburg“ herausgegeben im Jahr 1967
von seiner Tochter Elisabeth Rückert/Herold, Coburg ihrem Vater Emil Herold
zum Andenken gewidmet
Heimatschriftsteller Emil Herold
Repro: Ulrich Göpfert
Der damalige Oberbürgermeister Bergmann aus Neustadt bei Coburg schrieb in seinen Geleitworten zu diesem Buch: „Unserem im Jahre 1946 verstorbenen Heimatschriftsteller Emil Herold kommt neben dem Chronisten Pfarrer Albert Greiner und unserem Mundartdichter Ehrenbürger Albert Arnold das unbestrittene Verdienst zu, sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts für die Erforschung, Erhaltung und Pflege unseres Neustadter Kulturgutes am wirksamsten und nachhaltigsten eingesetzt zu haben. Seine zahlreichen Arbeiten und Veröffentlichungen über die Geschichte und die Bürger unserer Stadt lassen jedem Leser deutlich spüren, wie stark das Gefühl der Heimatliebe und Heimatverbundenheit in ihm ausgeprägt war. Und wer seinen Lebenslauf kennt, weiß, dass er ein Leben im Dienst an seine Vaterstadt Neustadt gelebt hat“.
Maler Christian Schulz - genannt Maler Krebs
Repro: Ulrich Göpfert
Was wären Städte oder Gemeinden ohne ihre "Originale“?
Davon gibt es "Gott sei Dank“ recht viele, auch wenn die meisten von ihnen nicht mehr unter uns weilen! Heute möchte ich aus dem Buch von Emil Herold einige Geschichten zum Besten geben über ein "Neustadter Original“, dem Christian Schulz. Es gibt wohl auch heute keinen "echten Neustadter“, dem der "Maler Schulz“ nicht ein Begriff ist, selbst wenn er ihn gar nicht mehr persönlich gekannt hat. Seine lustigen Einfälle ließen ihn zum originellsten Menschen werden, der in den letzten hundert Jahren in Neustadt lebte. Mit seinen Streichen erfreute er aber nicht nur die Neustadter, sein Ruf drang weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Ich werde deshalb in unregelmäßiger Reihenfolge einige humorvolle Geschichten von Emil Herold zu diesem „Neustadter Original“ aufschreiben und in mein Internetportal, hoffentlich zur Freude der Leser, einstellen. Eines noch vorweg. In den Geschichten werden die Ortsnamen und Nachnamen der handelnden Personen nicht mit dem richtigen Namen angegeben – eine Eigenheit des Autors (vermutlich zu deren Schutz) und wenn in den Aufzeichnungen von einem Maler Krebs gesprochen wird, dann handelt es sich in Wahrheit um den Maler Christian Schulz. Wenn von Muggiburg gesprochen wird, handelt es sich um Neustadt/Cbg.
Die Sündflut und der Tösers Karl
Es war nach starkem Frost Schnee auf den Bergen gefallen und tags darauf regnete es, was vom Himmel runter wollte. „Kleiner Schnee, große Hochwasser“ war eine Muggiburger Erfahrungsweisheit. Tatsächlich, in der Nacht hatte sich das brave stille Röthenflüsslein zu einem kleinen Main aufgebläht, und im Weidach, dem tiefer gelegenen Stadtteil von Muggibach, schoss Wasser zur Hintertür herein und durch die vordere wieder hinaus. Wenn man da von der Bahnhofstraße her über die Marienbrücke hinweg war, da stand man am alten Spritzenhaus plötzlich in einer Sackgasse. Zwischen Spritzenhaus und der Krankenkasse hatte sich das Wasser zu einem kleinen See gestaut, der zwar nicht sehr tief war, aber immerhin nass. Ein paar Dutzend Leute, die von der Bahn gekommen waren, standen dort rat- und tatenlos vor Verwunderung.
Des Weges daher kam auch gerade der Maler Krebs (Schulz), angetan mit einem Paar mordstrümmern hohen „Schäftern“. Er hatte im Bahnhofsviertel zu arbeiten und war, als er unterwegs von der Überschwemmung erfuhr, wieder umgekehrt, um sich mit einem Paar Schäftern „seetüchtig“ zu machen. Als er sich anschickte, in den See zu waten, bat ihn eine junge Frau, die zum Zug wollte: „Huckel mich auf Christian! Ich versäum` ja sonst den Zug.“ Der Maler Krebs guckte sie an. „Na ja, eine schöne, junge Frau… Aber aufhuckeln kann ich Dich net. Wenn ich Dich auf den Händen tragen darf, soll mir` s recht sein. Aber Du musst Dich ein bisserl fest an meine Brust drücken. Umsonst ist der Tod.“ Schon hatte er das Frauchen unter den Knien gepackt, es schlang ihre Arme um seinen Hals und er stapfte mit der süßen Last tapfer und lachend durch die „Sündflut“.
Grad als er drüben ankam, tauchte am Rand des Sees der Tösers Karl auf. Ein angesehener Mann, Kartonagenbesitzer, Schütze, ehemaliger Stadtrat. Klein und ulkig wie der Maler Krebs selber. In Größe und Umfang unterschieden die zwei sich kaum, aber in einem Ding unterschieden sie sich doch: dort, wo der Maler Krebs mächtige Wasserstiefel hatte, trug der Karl ein paar wundervolle, schön rot und blau und grün und golden gestickte Hausschuhe. Straminschuhe! Er hatte in der Frühe einen Brief vom Bürgermeister bekommen, in dem ihm mitgeteilt worden war, dass eine Nachprüfung ergeben habe, er habe sich in seiner Steuereinschätzung zu niedrig eingeschätzt, gleich um einige hundert Mark. Da war er voller Wut gleich in seinen Morgenschuhen – den Straminschuhen – fortgesaust, um dem Bürgermeister „die Gröbsten herunterzutun“. Nun stand er mit seinen Straminschuhen vor dem nassen Wasser. Er fluchte wie ein Rohrspatz. „Doo muss ich doch gleich a Dunnowatto neischlaa! Grad wu mosch su eilig hott!“
Schon wollte sich drüben dem Maler Krebs eine andere Schönheit an die Brust hängen, damit er sie als moderner „Christopherus“ auf die Stadtseite hinübertrage, als sich der Tösers Karl ins Mittel legte. „Natürlich, Freund Christian, immer erst die Weiberleut. Das tät Dir so passen. So ein bißerle ans Herz gedrückt und in die Waden gezwickt. Die Weiberleut hamm Zeit! Jetzt huckelst Du mich erst auf und trägst mich hinüber. Ich zahl Dir a Maß. Ich hab` s eilig. Im muss auf` s Rathaus!“ Der Christian betrachtete den Töser, der dastand wie ein Bullenbeißer mit scheelen Blicken. „Mei Bier kann ich selber zahlen.“ – Aber ich hab` s eilig, Freund Karl!“ – „Und dann…ich weiß net…Du bist a bißola schwer, Freund Karl.“ – „Los! Huckel mich na auf! Es wird scho genn!“
Dem Maler Krebs flog ein Lächeln übers Gesicht. „Meinetwegen“, sagte er dann. Auf Deine Verantwortung“. Dann krümmte er den Rücken und der Tösers Karl legte sich, ihn von hinten umhalsend, auf wie ein Mehlsack. Die ersten Schrittchen im Wasser geht` s schnell, auf einmal wird der Christian immer langsamer und keucht und stöhnt. „Du bist mo zu schwaar, Freund Karl. Mir gett ja der Odem aus!“ Wieder tippelte der Christian ein paar Schrittchen weiter. Schon sind sie nur noch fünf Meter vom rettenden Ufer entfernt, da keucht der Maler Krebs wieder: „Es gett wirklich nümmo, Freund Karl. Bluoß a Sekund` muss ich amool ausruh.“ Ehe der Freund Karl nur ein Wörtchen des Protestes herausstottern kann, lässt ihn der Christian von seinem Rücken herabgleiten wie einen Sack. „Bluoß a Sekund`, Freund Karl“. Da hatte der Freund Karl auch schon festen Boden unter den Füßen und kaltes Röthenwasser über den Füßen. Doch in der nächsten Sekunde hatte der Maler Krebs den Verblüfften schon wieder aufgehuckelt und trug ihn unter dem Hallo der Zuschauer auf trockenes Land. Wie ein eigensinniges Kind, rot im Gesicht, strampelte der Karl und betrat das trockene Land wütend mit den Füßen, dass das Röthenwasser aus den schönen Straminschuhen herausspritzte.
Die Worte verschlug es ihm fast und er brachte nur voller Zorn heraus: „Du…Du…Du…elendo Dingotz! Du! Grad wu mosch su eilig hott! Unn noch nooßa Füß aa! A Sekund…a Sekund?!!!“ Der Maler Krebs tat ganz unschuldig. „Nu längo woor des werklich net, wie a Sekund, Freund Karl!“ „Du brauchst noch amool Freund Karl zu mir zu soog` n. Du elendo Dingotz Du!“ Dann verschwand der Töser wütend stadteinwärts, verfolgt von dem lauten Gelächter der Zuschauer. Der Maler Krebs aber sah ihm kopfschüttelnd nach. „Des hott mo nu von seino dumma Gutmütigkeit! Dingotz hott a g` soogt? Elender Dingotz?! Bluoß su aro olbern Sekund waag`n!“
Aber: „Wer ausgeben will, muss auch einstecken!“ sagt ein altes Muggiburger Weisheitswort.