Sagen und Erzählungen aus dem Coburger Land
Der lange Wagnersjörg aus Birkach wohnte weit draußen, dort wo der Weg von Birkach nach Lichtenfels führt, ganz am Ende des Dorfes. Er hatte von seinen Eltern das einstöckige Häuschen und noch dazu eine hübsche Geldsumme geerbt und konnte glücklich und zufrieden leben.
Landschaftsaufnahme in der Nähe von Birkach
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Eines Abends klopfte ein fremder Handwerksbursche an seine Tür und bat ihn, dass er ihn über Nacht behalten möge. Er sei todmüde und brächte die wunden Füße nicht mehr vorwärts. Da erbarmte sich der lange Wagnersjörg seiner und nahm ihn in sein Haus auf, reichte ihm einen frischen Trunk seines selbstgebrauten Bieres und, nachdem er den Handwerksburschen auch noch mit Speise gelabt hatte, führte er ihn in den Schuppen, der ans Haus anstieß. Auf dem Stroh und weichem Heu wies er ihm seine Nachtstätte zu.
Der Handwerksbursche machte es sich bequem und wollte vor dem Schlafengehen erst noch ein Pfeifchen Tabak rauchen. Wie er nun ein paar kräftige Züge daraus getan hatte, übermannte ihn die Müdigkeit, die Augen fielen ihm zu. Er schlief ein und sein Pfeifchen fiel ins dürre Heu hinein. Es mochte wohl kaum eine Stunde vergangen sein, da standen Schuppen und Haus in lichten Flammen. Die Dorfbewohner eilten herbei, um zu löschen. Sie schleppten Eimer um Eimer mit Wasser, doch das war nichts mehr zu retten. Mit knapper Not, nur notdürftig gekleidet, war der Wagnersjörg dem schrecklichen Feuerstod entkommen. Was nützte sein verzweifeltes Schreien und Händeringen? Die Glut war so groß, dass niemand ins Haus dringen konnte und vom Hab und Gut des langen Jörg konnte nichts gerettet werden. Über den leichtsinnigen Handwerksburschen hat man nichts mehr gehört. Er mag wohl verbrannt sein.
Nun war der Wagnersjörg in einer Nacht zum armen Mann geworden. Wohl hätte er bei den reichen Bauern des Ortes sich als Knecht verdingen können und alle hätten in gerne genommen. Aber dazu war er nicht zu bewegen. Sein Lebensmut war dahin. Tagtäglich suchte er die Brandstätte auf und suchte unter den verkohlten Balken, Schutt und Asche nach seinem Geld und seinen Kostbarkeiten. Da war von alledem nicht mehr viel zu finden.
Blick auf Schloss Banz
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Wie er nun eines Tages auf einem angekohlten Balken saß und vor sich hin in den Aschenhaufen stierte, kam ihm eine sonderbare Erinnerung aus seiner Jugendzeit. Damals, als er noch ein Knabe war und er auf seiner Großmutter Schoß saß, erzählte sie ihm die Geschichte vom verborgenen Schatz auf der Kulch, jenem hohen Berg, der zu den Banzbergen gehört und ganz steil zum Jura abfällt. Dort droben, wo die Kulch am höchsten ist, so erzählte die Großmutter, liegt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ein großer Schatz vergraben. Wer ihn heben will, muss zur mitternächtlichen Stunde dorthin gehen mit Hacke und Grabscheit und drei Kreise um sich ziehen, dabei den Teufel herbeirufen und ihm seine Seele verschreiben. Der hilft ihm den kostbaren Schatz zu heben und alle Not hat ein Ende.
Reich war einst der Jörg und reich wollte er wieder werden und sollte es selbst sein Seelenheil kosten. Eine Hacke und ein Grabscheit waren leicht beschafft und, ohne jemanden ein Wörtlein darüber zu sagen, machte sich der lange Wagnersjörg in einer stürmischen, rabenschwarzen Nacht auf und ging hinauf zur Kulch. Dort zog er seine Kreise, setzte sich inmitten derselben auf einen Baumstumpf, um hier mit der Beschwörung zu warten, bis die Turmuhren aus den Itzgrunddörfern die zwölfte Stunde verkündeten. Offenbar ermüdet durch den Aufstieg, versank er bald in einen tiefen Schlaf und hörte nicht, wie die Uhren Mitternacht schlugen.
Ein Traum umspann seine Seele. Der Berg tat sich vor ihm auf. Aus dem Spalt kletterte ein Erdmännlein hervor. Das hatte ein kupferfarbiges Bergmannsgewand an und auf dem Kopf eine ebensolche Kapuze. An seinem Leibgurt hing ein hell leuchtendes Laternchen und sein flachshaariger Bart flatterte im Wind. Das kleine Männchen winkte dem Jörg zu, mitzukommen, und dieser folgte ihm eilends nach. Viele, viele Treppenstufen stiegen beide in den Berg hinein. Als sie endlich unten im Berg angekommen waren, zeigte ihm das Erdmännchen viele Kammern, große und kleine. Die Wände glitzerten, als wären sie von Silber, und in den Kammern stand Sack an Sack bis oben an. Aber darin war nichts als klarer Silbersand, wie solchen die Mutter in der Küche zum Putzen braucht. Von allen Seiten kamen Gnomen mit neuen Säcken voll Sand. "Hier ist die Schatzkammer", sprach der kleine Wicht und ließ ihn in einen hell erleuchteten Raum eintreten. Mitten in dem Saal stand eine eiserne Kiste mit alten Schlössern wohl verwahrt. Das Erdmännlein führte ihn dahin. Dreimal klopfte es mit der Faust auf den Deckel. Da sprang er mit donnerähnlichen Krachen auf. Mit gierigen Blicken schaute der Jörg hinein. Das war nicht, wonach er trachtete. Unten auf dem Boden lag ausgebreitet ein Pergament, worauf mit leuchtenden Goldbuchstaben ein Spruch stand. Das Männlein nahm das Schriftstück heraus, reichte es dem Jörg und sprach. "Nimm lies und tue dies." Mit laut vernehmlichen Worten las Jörg folgenden Spruch:
"Willst du Glück im Leben haben,
darfst du nicht nach Schätzen graben.
Musst den Herrn lassen walten
und dein Herze rein behalten.
Nur das steht einem Christen gut,
was man in Gottes Namen tut!"
Feldkreuz im Hintergrund Schloss Banz
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Kaum hatte der Jörg diese Worte geredet, da legte sich eine Hand sanft auf seine Achsel und erschrocken hob der Träumer seine Augen auf. Es war lichter Tag geworden. So lange hatte er geschlafen und geträumt. Wie er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, sah er den alten freundlichen Förster von Banz vor sich stehen. Der hatte gehört, was der Jörg im Traum gesprochen hatte und forschte nach dem Zusammenhang dieser ihm unerklärlichen Worte. Jörg erzählte alles, was und wie es sich zugetragen und wie er zur Nachtzeit auf die hohe Kulch gestiegen und mit dem Teufel im Bunde den Kulchschatz habe heben wollen.
Das Schicksal des Jörg ging dem Förster zu Herzen. Um den jungen kräftigen Mann auf den richtigen Weg zu führen bot er ihm eine Forstaufseherstelle an, um einen Beistand zu haben in seinen alten Tagen. Mit Freuden willigte der Wagnersjörg ein und bekam eine Wohnung im schönen Banzer Forsthaus. Er machte sich überall beliebt und bekam nach des Försters Tod die Försterstelle.
Blick hinauf zum Thüringer Wald
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
An der Stelle, wo ihm das Glück begegnet war, errichtete er einen hölzernen Aussichtsturm, von dem man weit hinausschauen konnte ins Itz- und Maintal und auch hinauf bis in den Thüringer Wald.
Quellenhinweis: Karl Mönch