Klein-Frieder und die Kirchweih in Hönbach

Ein Ereignis, das im August 1963 für Gesprächsstoff hüben wie drüben sorgte:
"Klein-Frieder überwand unverletzt das Minenfeld und den vierfachen Stacheldraht in der Nähe von Hönbach

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Hier am Dorfplatz und den Dorfteichen in Hönbach begann die Odyssee des kleinen Frieder anlässlich der Kirchweih und dem Besuch beim Onkel Werner Motschmann im Jahre 1963
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert

Hönbach/Neustadt
An ein Ereignis aus der Zeit des "Eisernen Vorhanges, dass ich im Buch von Günther Bretschneider aus Neustadt: "Wege in die Zukunft “ Brückenschlag zu unseren Thüringer Nachbarn gelesen habe, möchte ich erinnern und heute darüber berichten:

Kirchweih in Hönbach
Am Samstag, den 25. August 1963 war Kirchweih in Hönbach. Der kleine Frieder (2 ½ Jahre) aus Mupperg besuchte mit seinem größeren Bruder Wolfgang den Onkel Werner Motschmann in Hönbach. Auf dem Dorfplatz war schon einiges los, die Dorfjugend spielte Fußball, und das Kirchweih-Karussell war ständig besetzt. Dem kleinen Frieder wurde es allmählich zu langweilig, dauernd schaute sein Bruder Wolfgang nur dem Fußballspiel zu. Frieder erinnert sich, dass die Kindergartentante in Muppberg immer am Bahndamm (der alten Steinachtalbahntrasse) die Kinder wieder nach Hause führte, wenn sie von Spaziergängen zurückkamen. Der Frieder hatte in Hönbach auch einen Bahndamm gesehen, und weil er gerne wieder nach Hause wollte, lief er den Bahndamm entlang in der Annahme, hier gehe es zu Papa und Mama. Er kam schließlich an den Sperrgraben, wollte hochklettern, schaffte es aber nicht. Erst beim zweiten Anlauf funktionierte es. Nun kroch er durch die Stacheldrahtsperre, verlor dabei einen Schuh, konnte ihn aber noch erhaschen und war durch.

Ohne es zu wissen, hatte er Minengürtel und Stacheldrahtzaun überquert und stand auf bayerischem Boden, völlig allein, fremd und hilflos. Mit tränennassen Augen, den Schuh in der Hand, so lief er dem Ehepaar Alfred und Christa Schulz aus Neustadt entgegen, die für ihren Sonntagsspaziergang das "Schottenholz" gewählt hatten. Nach dem Namen gefragt, konnte der Junge mit tränenerstickter Stimme nur undeutlich "Frieder" murmeln, dass sich aber sicher, wie "Peter" anhörte, darum nahmen die beiden an, er höre auf den diesen Namen. Die Schulzens schauten sich um, aber niemand war zu sehen, geschweige denn, dass jemand einen kleinen Jungen vermisste. Schließlich kam Alfred Schulz auf den Gedanken, im Strickjäckchen nach einem Firmenzeichen zu suchen, und siehe da, er wurde fündig: "Strickwerke Apolda" war da zu lesen. Jetzt war alles klar, das Kind gehörte nach "drüben".

Große Aufregung in Hönbach
Wo ist der kleine Frieder? Die Volkspolizei wird eingeschaltet, die Feuerwehr alarmiert, Suchtrupps zusammengestellt. Aber das Eindringen in den "Schutzstreifen“ ist allen zunächst verwehrt, es müssen erst Genehmigungen eingeholt werden. Dabei verstreicht wertvolle Zeit. Hätte man sofort dort suchen dürfen, wäre der kleine Frieder gleich gefunden worden. Deshalb wurden die Eltern benachrichtigt. Man befürchtete das Schlimmste. Am Baugebiet "Wolkenrasen" einer gefahrvollen Baustelle wird gesucht, die Teiche der Umgebung kontrolliert. Schließlich setzt die Polizei einen Spürhund ein, der zunächst auch keine Spur aufnehmen kann, bis der Schlafanzug des Kindes herbeigeholt wurde, der Hund den Geruch aufnahm und dann schnurstracks in Richtung Grenze lief. Nun war es klar, der Junge musste die Absperrungen passiert haben. Ein Anruf bei der Neustadter Polizei, zu der das Ehepaar Schulz den kleinen Frieder inzwischen gebracht hatte, bestätigte die Vermutung, und die Eltern waren der größten Sorge enthoben.

In das Kinderheim nach Coburg gebracht
In Neustadt wurde der Junge gut versorgt, in das Kinderheim nach Coburg gebracht, wo er schlafen konnte und liebevoll betreut wurde. Viele Spenden an Spielsachen und Süßigkeiten kamen an, die Behörden nahmen Verbindung mit "drüben" auf und schließlich trat der kleine Frieder wieder die Heimreise an. Aber eine Übergabe im Bereich Neustadt-Muppberg war nicht möglich. Wohl waren in den Grenzzaun, versteckt und kaum sichtbar, Tore eingearbeitet, die nur Eingeweihten bekannt blieben. Der Bevölkerung konnte nicht offenbart werden, wo sich ein solches Tor befand, darum musste die Heimkehr des Jungen über die Grenzübergangsstelle Ludwigsstadt-Probstzella erfolgen. Ein Pkw mit dem Jungen und der Kinderschwester fuhr nach Ludwigstadt. Der Junge wurde in den Interzonenzug München-Berlin gesetzt, dort wiederum von einer mitreisenden Schwester übernommen und betreut und in Probstzella von einem überglücklichen Vater in die Arme geschlossen.

Ende der Odyssee
So endete die moderne Odyssee des kleinen Frieder. Diese Geschichte ging durch den bundesdeutschen Blätterwald und wurde in Illustrierten ausführlich dargestellt, in den Medien Rundfunk und Fernsehen berichtet. Sogar aus Amerika kam Nachricht, dass es dort in manchen Zeitungen stand. Wie Günther Bretschneider in seinem Buch weiter schreibt, ist der Frieder heute ein gestandener Mann und Familienvater, wohnhaft in Gefell. Er kann sich aber kaum noch an jene Begebenheit erinnern. Alfred und Christa Schulz aber, die seinerzeitigen Retter in der Not, waren zu seiner Hochzeit eingeladen und halten heute noch Freundschaft mit der Familie von Frieder Eichhorn.

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