Eigentlich hieß sie Auguste Engelhardt
Ein Dörfles-Esbacher Original
Heute ein Beitrag über ein Dörfles-Esbacher Original, geschrieben von meinem Schulfreund Harald M. Landgraf. Vielen Dank dafür!
Auguste Engelhardt, genannt die Ahms-Gustl
Foto: Archiv Ulrich Göpfert
Sie stammte aus Unterwohlsbach und hatte in das kleine Bauernzeug des Emil Engelhardt eingeheiratet. Es handelt sich um das Backsteinhaus unterhalb des heutigen Rathauses. Das Ehepaar hatte einen Sohn namens Horst, von dem man wenig wusste. Man sah ihn wenig und wenn man ihn sah, war er „voll“. Die Gustl arbeitete in der Porzellanfabrik Griesbach und bewirtschaftete nebenher die kleine Landwirtschaft. Man hielt ein paar „Säu“, und wenn ich mich recht erinnere, anfangs sogar ein Rindviech. In späteren Zeiten schaffte man einen Schafsbock an, von dem noch die Rede sein wird.
Zunächst aber möchte ich erzählen, wie die „Ahms-Gustl“ zu ihrem Namen kam. Diesen Namen hat ihr der Emil nämlich übertragen. Emil war kein großartiger Redner. Seine Hauptwörter waren „Ahm drüm!“ Zu Hochdeutsch: „Eben darum!“ Somit hatte der Emil seinen Namen weg. Den alten Dörfleser ist er als „Ahm“ bekannt. Und seine Frau war folglich die „Ahma“ oder die „Ahms- Gustl“.
Sie war ein Dörfleser Original mit ihren unverwechselbaren Eigenheiten
Sie kreuzte in Lisbeth Hübners Rewe Laden auf, krempelte dort ohne Scheu ihren Rock bis zu den Oberschenkeln hoch und fingerte ihr Geld unter dem Weckgummi hervor, mit dem sie ihre Strümpfe zu befestigen pflegte. Man konnte hin und wieder auch erleben, dass sie sich recht geräuschvoll in ihre Schürze schnäuzte. Ihre Kleider kürzte sie, indem sie das Gewand auf den Küchentisch legte und es einfach „frei Schnauze“ abschnippelte. So lief die Gustl meistens mit zipfelnden Röcken herum. Mal guckten die Knie bis hinauf zu den Oberschenkeln unter dem Rock hervor. Und ein andermal sah man ihre lindgrünen Baumwollschlüpfer wenn sie sich bückte. Die Ahma war ebenso fleißig wie geizig. Sie versteckte die Hühnereier im Mehltopf, damit ihr Horst keine an die Kinder verschenkte, die für das Viehzeug die Abfälle brachten.
Vorzeiten hatte man in Dörfles noch Apportgruben, denn die Kläranlage kam erst später. Wenn die Gustl ihre Grube ausschöpfte, so tat sich das zu nachtschlafender Zeit oder Dämmergrau des frühen Morgens. Sie entsorgte den duftenden Inhalt auf den Blumenbeeten in den gegenüberliegenden Häusern, damals „die Blöck“ genannt. Noch vor dem Frühstück entdeckten die Bewohner das nächtliche Geschenk und sahen entsetzt das gerubbelte Zeitungspapier mit Bröckchen und krabbelndem Gewürm, das ihre Rosen verschandelte. Ein übler Gestank durchwehte die Siedlung und hielt stundenlang an. Alles rannte, um mit viel Wasser den „scharfen Dung“ zu verdünnen. Aber oft gingen die Pflanzen kurze Zeit später ein. Die Gustl aber schüttelte sich wie ihr Petz und gab sich ganz und gar unbeeindruckt. Sie war sich keiner Schuld bewusst. Heutzutage wäre ein saftiges Bußgeld fällig gewesen.
In den späten 50er Jahren kam der Schafsbock namens Peter ins Ahmshaus am Schulberg. Ein lustiges schneeweißes Böcklein, der Liebling der Kinder. Die Ahma sagte ganz stolz, das Vieh käme am Ostfriesland, wobei sie sicher nicht wusste, wo das lag. Ein Junge aus der Siedlung führte Peter mit Leine und Halsband zum Grasen an den alten Bahndamm hinter dem heutigen Friedhofsgelände.
Der Bock wurde älter und störrischer. Längst ließ er sich nicht mehr auf die Weide führen. Und böse Zungen behaupteten, der Ahm habe auf dem Brunnen im Hof gehockt und seinen Peter an einer edlen männlichen Stelle gekrault, was ihn sicherlich noch „bockiger“ gemacht haben mochte. Eines Tages brachte der Junge, der den Bock auf die Weide geführt hatte, Küchenabfälle ins Ahmshaus. Er schüttete die Kartoffelschalen brav in den dafür vorgesehenen Eimer und hielt nach der Gustl Ausschau. Manchmal bekam man für die Schalen einen Apfel geschenkt. Aber oft war er aber so schrumpelig, dass er gleich wieder in den Eimer flog, denn die Gustl war ein Ausbund an Sparsamkeit, um es milde auszudrücken.
Als der Bub rnit der Steingutschüssel wieder zum Gartentürchen ging, hörte er hinter sich ein Getrappel. Ein heftiger Stoß in den Rücken warf ihn der Länge nach in den Hof. Die Schüssel zerschepperte. Der Ausgang war kaum zu erreichen, denn der Bock knallte immer wieder mit seinem hornig harten Schädel in den Rücken. Aus dem einst zahmen Peter war ein angriffslustiger Schafbock geworden.
Ein paar Tage darauf kam eine Frau, die im Block gegenüber wohnte und als „die Schneidern" bekannt war, von ihrer Arbeitsstelle, dem Coburger Milchhof, nach Hause. Sie kam mit der Bahn und ging die Rosenauer Straße hinauf, wobei sie den weinroten Mantel offen trug, sodass er im Wind flatterte. An der Treppe angekommen, die von der Straße zum Haus führte, hörte sie es hinter sich trappeln und man sah den ausgebüxten Peter hinter der Schneidern nachrennen. Mit wehendem Mantel konnte sie sich gerade noch ins Haus flüchten, als der „Petzenbock“, wie die Leute das Untier nannten, die Haustürscheibe eingerammelt hatte. Und die gebürtige Berlinerin hörte man lautstark schreien, sie ließe sich nicht von „da ]ustl ihrem Petzenbock vajewaltigen“.
Irgendwann war Peters Schicksal besiegelt
Im Schafsgreisenalter beschloss die Gustl, ihn zu schlachten oder schlachten zu lassen. Zu diesem Zweck schickte sie ihren alten Ahm in die Gastwirtschaft Kaiser, wo ihn ein paar Dörfleser kräftig einseiften. Dennoch sollen Tränen geflossen sein, als der Ahm gewahr wurde, dass man seinen geliebten Peter umgebracht hatte. Ich glaube nicht, dass der Peter noch genießbar war, den am Schlachttag „bockelte“ die ganze Gegend, so dass man sich die Nase zuhielt, wenn man am Ahmshaus vorbeigekommen ist. Wer wohl den Peter mit Genuss verzehrt hat?