Acta, betreffend Kirchen- und Sittenzucht
Unfug bei einer Beerdigung in Neustadt/Coburg im Jahr 1885
Ein Blick auf die Stadt Neustadt bei Coburg
2011 © Ulrich Göpfert
Neustadt, 22. September 1885
Das Stadtoberpfarramt berichtet über einen gelegentlich einer Beerdigung inner- wie außerhalb des Friedhofes verübten groben Unfug: Herzoglichem Kirchenamte hier beeilt sich der gehorsamst Unterzeichnete über einen von empörender Rohheit zeugenden Unfug, welcher gestern Nachmittag anläßlich der Beerdigung eines Wildenheider Kindes verübt wurde, im nachfolgenden Bericht zu erstatten: Pünktlich nachmittags 3 Uhr sollte die Beerdigung des jüngsten und letzten Kindes des Handarbeiters Johann Simon Fleischmann von Wildenheid stattfinden, und musste das als ordnungswidrig unangenehm auffallen, dass die Leiche eine volle halbe Stunde zu spät zur Stadt hereingetragen wurde.
Noch auf dem Friedhofe, sobald die Feier mit Gebet geschlossen war, trat Totengräber Friedrich Geuther mit der Bemerkung an den Unterzeichneten heran: er müsse sich über das durch und durch unwürdige Benehmen der 4 Leichenträger, junger Leute aus Wildenheid, welches dieselben bei Abholung der Bahre an den Tag gelegt, nachdrücklichst beschweren, indem dieselben offenbar bereits im Zustande der Trunkenheit auf dem Friedhofe ein frivoles Lied angestimmt hätten. Kirchner Bauer wurde alsbald beauftragt, in Betreff dieser Beschwerde nähere Erkundigungen einzuziehen und berichtete demgemäß folgendes:
Die Träger der Kindsleiche waren:
1. Ernst Stegner
2. Gustav Knoch
3. Christian Popp
4. Anton Naß
sämtlich junge Burschen aus Wildenheid.
Dieselben, wahrscheinlich bereits nicht mehr ganz nüchtern, kehrten vor Abholung der Bahre erst noch bei Bierwirt Paul Bohla ein, tranken daselbst nicht weniger als 4 Liter Bier und wurden erst durch Aufforderung der Frau Wirtin veranlaßt, das Lokal zu verlassen, um ihrem übernommenen Auftrage nachzukommen. Dem Totengräber, der sie über den Friedhof zum Bahrhäuschen geleitete, fiel sofort ihr ganzes Benehmen auf das Unangenehmste auf, noch mehr aber, als sie sich sogar erfrechten, auf dem Friedhofe ein Lied folgenden Inhalts anzustimmen:
"Fröschlein, Fröschlein, quak, quak, quak,
Ihr seid ein lustig Chor,
Ihr braucht euch nicht zu kämmen,
Ihr habt ja keine Haar!"
Dabei tänzelten die Burschen mit der Bahre hin und her, so dass sich verschiedene Leute darüber entrüstet ansprachen (es werden als solche die Ehefrau des Schuhmachers Baumgarten, ........Stegner und die Ehefrau des Gemüsehändlers Wenzel genannt), - die dem Friedhofstore gegenüber wohnende Witwe Höhn sich sogar nicht enthalten konnte, ihnen selbst einige zurechtweisende Worte zuzurufen, worauf sie von den jungen Burschen mit grober Gegenrede bedient wurde. Aber noch hatten dieselben nicht genug! Mit der Bahre, welche sie im Hausplatze niederstellten, kehrten sie bei Gastwirt Ferdinand Schneider an der Coburger Brücke ein, wo sie wieder ein Glas Bier tranken, und, nachdem sie von der Frau des obengenannten Wirtes weiter geschickt worden waren, nochmals im Nachbarhause, bei Sattler und Bierwirt Louis Möller.
Nun erst fanden sie sich bewogen, ihren Weg nach Wildenheid fortzusetzen, und so ist es erklärlich, wodurch die auffallende Verspätung der Beerdigungsfeier veranlaßt worden war. Noch muß erwähnt werden, dass während der Beerdigungsfeier selbst die 4 Träger sich allerdings ruhig verhielten, dass sie jedoch unmittelbar danach abermals in der Bahlaschen Wirtschaft einkehrten und daselbst noch gehörige Zeit beim Trunke verweilten.
Das geschilderte Verhalten zunächst auf dem Friedhofe, sodann auf öffentlicher Straße, und zwar aus Anlaß einer Beerdigungsfeier, dürfte nicht nur im Allgemeinen gegen die an dem Friedhofstore angeschlagene Friedhofsordnung verstoßen, sondern sogar gegen die Bestimmungen des Strafgesetzbuches (nach § 9166 (?) ) und die Sache der Staatsanwaltschaft sein, zumal da die betreffenden Personen als bestellte Leichenträger bei der ganzen Beerdigungsfeier aktiv mit beteiligt waren. Das unterzeichnete Oberpfarramt beeilt sich daher, herzoglichem Kirchenamte diese Angelegenheit zu weiterer sachgemäßer Behandlung zu übergeben.
In Ehrerbietung
Das Herzogliche Oberpfarramt
E. Gumlich