Unmenschliche Grenze quer durch Deutschland

Die ehemals unmenschliche Grenze
quer durch Deutschland

Zwischenfälle und Aufsehen erregende Ereignisse
vor über 60 Jahren in unserem Raum

 
„Gebrannte Brücke“ zwischen Neustadt bei Coburg und Hönbach/Thüringen.
So hat es Anfang der 50iger Jahre dort an der Grenze ausgesehen

Repro: Ulrich Göpfert

In wenigen Gegenden ist der Verlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenze so kompliziert und unübersichtlich wie im fränkisch-thüringischen Grenzgebiet. Der Freistaat Bayern reicht an mehreren Stellen weit in den heutigen Freistaat Thüringen hinein, während einzelne thüringische Landzipfel tief nach Süden ausgreifen.

Die Grenzlinie überquert Taleinschnitte und steile, dicht bewaldete Hügelkuppen. Doch selbst dieses schwierige Terrain hatte die DDR nicht daran gehindert, den Todesstreifen mit dem ganzen Instrumentarium an Minenfeldern, Patrouillenstrassen und Grenzzäunen über das Land zu ziehen. Noch heute sind die entsprechenden Schneisen deutlich zu sehen. Sie erwecken bis jetzt den Eindruck einer Brandspur, die sich in die Natur gefressen hat.

Doch bald wird die Natur sich auch diesen Bereich zurückholen und dadurch diese dort passierten schrecklichen Tragödien und Unmenschlichkeiten vergessen machen. Dass die Untaten, welche an dieser Grenze geschahen nicht vergessen gehen, habe ich in dieser Reportage einige davon erfasst und in Worten und einigen Bildern festgehalten. Auch berichte ich in diesem Beitrag über sonstige aufsehen erregende Ereignisse während dieser unseligen Zeit an dieser deutsch-deutschen Grenze.

Schwarzhandel mit Spielwaren und Christbaumschmuck
Schon in den ersten Jahren nach der Grenzziehung kamen viele Bewohner aus Sonneberg und Umgebung zu Tauschgeschäften über die damals noch unbefestigte „grüne Grenze“. Nach der Währungsreform nahm der illegale Grenzverkehr jedoch noch erheblich zu. Dies lag vor allem daran, dass in der sowjetischen Zone starker Mangel an Lebensmitteln herrschte, während hier Nährmittel, Konserven und Mehl für die neue Deutsche Mark leicht erhältlich waren. Die günstigen Übergangsstellen zwischen Sonneberg und Neustadt trugen dazu bei, dass die Grenzgänger Puppen, Holzspielwaren und Christbaumschmuck herüberbrachten. Hierfür waren oft ganze Trägerkolonnen unterwegs, denen man in der Nacht begegnen konnte. Die Spielwarengeschäfte kauften die Sachen zu niedrigen Preisen auf und setzten sie mit erheblichen Gewinnen wieder ab. Vielfach wurden strafunmündige Kinder geschickt, die jedoch fähig waren, die leichten Glaskugeln in reichlicher Menge zu tragen. Das Geschäft wurde teilweise in einem solchen Umfang betrieben, dass hiesige Firmen mit Lastwagen und Fuhrwerken in die Wälder fuhren, um die dort in der Nacht abgestellten Waren zu holen. Für den Erlös erwarben die Grenzgänger Lebensmittel, Textilien, Ersatzteile und Mangelwaren aller Art. Auch dieses Geschäft wurde teilweise im Großen abgewickelt. So erfolgte die Beförderung von Mehl in Zementsäcken, die Inhaber von Flurausweisen auf ihren Gespannen unter Mist versteckt hinüberbrachten. Es fiel auch auf, dass sie einspännig herüber- und zweispännig wieder zurückfuhren.

Allein im September 1948 wurden 2509 Personen als illegale Grenzgänger von der Grenzpolizei erfasst, während es vor der Währungsreform monatlich etwa 1000 waren. Diese Zusammenballung kam nicht zuletzt daher, dass vor dem Währungsschnitt die illegalen Grenzgänger zum großen Teil mit den Zügen ins Hinterland fuhren, während sich nun, da die nötigen Mittel zur Weiterreise fehlten, alles im Grenzgebiet abspielte. Die Folgen spürte jeder Einwohner, weil die Grenzgänger die Preise in die Höhe trieben. Den Bauern wurden für ihre Erzeugnisse freiwillig Preise geboten, die kein Lohn- und Gehaltsempfänger bezahlen konnte.

Die Beamten der Grenz-, Land- und Stadtpolizei versuchten durch dauernden Tag- und Nachteinsatz die illegale Grenzgängerei und die damit verbundenen wilden Aufkäufe nach Möglichkeit einzuschränken. Im Schnellverfahren wurden im Neustadter Amtsgericht die Grenzgänger abgeurteilt, die bei versuchter Warenausfuhr gegen die Verbrauchsregelungs-Strafverordnung verstießen oder missbräuchlich Ausweispapiere benutzten. Es gab Fälle, bei denen die Betreffenden mit gefälschten Kennkarten versehen waren, die sie vor allem an den Bahnhöfen in Bamberg oder Lichtenfels auf dem schwarzen Markt erworben hatten. Die beschlagnahmte Ware ging über die Preisbehörde an die hiesigen Geschäfte, der Erlös an die Gerichtskasse nach Coburg.

Handelte es sich um kleine Mengen, dann mussten die Eigentümer sofort im Büro der Grenzpolizei eine Verzichtserklärung zugunsten des bayerischen Staates unterschreiben. Die Waren gingen auch in diesem Fall über die Preisbehörde gesammelt an einheimische Händler und der Erlös an die Regierungshauptkasse in München. Leicht verderbliche Lebensmittel wurden sofort dem Städtischen Krankenhaus zugewiesen. Bezeichnend war, dass sich die Geschäftsleute in der Grenzpolizeistelle geradezu drängelten, um solche Waren zu bekommen. Denn hier konnten sie von drüben eingeführten Waren „amtlich“ noch viel billiger kaufen, als bei den Grenzgängern selbst. Es gab nämlich nicht weniger als 50 Prozent Nachlass auf die so genannten „Verbraucherhöchstpreise“.

Im Monat Oktober 1948 wurden allein 1830 Dutzend Glaskugeln, 2073 Kilogramm Mehl, Körner und Brot, 3250 Kilogramm Kartoffeln und andere Waren mit einem Wert von über 6000 DM sichergestellt. Die Polizei schätzte, dass mehrmals täglich mehrere hundert Personen bei Neustadt sowie den heutigen Stadtteilen Wildenheid und Meilschnitz über die Grenze kamen. Auch die Kriminalität nahm angesichts der im Steigen begriffenen unerlaubten Warenausfuhr zu. Wiederholt wurden in jener Zeit Überfälle auf Grenzgänger, vor allem Frauen, gemeldet. Personen, die sich als Grenzpolizeibeamte in Zivil ausgaben, machten sich auch an diese mit der unverhohlenen Absicht heran, ihnen die mitgeführten Waren abzunehmen.

 
Den Kindern auf den Bauernhöfen ging es zu diesem Zeitpunkt relativ gut
Repro: Ulrich Göpfert

Kinder als Bettler, Händler und Diebe
Eine auffallende Erscheinung in unserem Grenzgebiet waren die Scharen von Kindern, die in den ersten Jahren nach der Grenzziehung auf Schleichwegen aus der damaligen Ostzone herüberkamen. Vielfach zerlumpt, manchmal die bittere Not in den Augen, zogen sie bettelnd von Haus zu Haus. Nach der Kartoffelernte konnte man sie beobachten, wenn sie auf den leeren Feldern in Grenznähe Kartoffeln stupfelten. Sie kamen von jenseits der Zonengrenze mit Hacken und kleinen Rechen und durchstöberten emsig die frische Erde. Auf dem Rücken trugen sie alte Rucksäcke oder Tragkörbe. Die kostbaren Lasten, die sie heimbrachten hatten noch den Vorzug, dass sie nichts kosteten und dass man auch nichts dafür einzutauschen brauchte. Unter den Kinder waren oft kleine, die unter ihrer schweren Bürde fast zusammenbrachen. Aber die Vorfreude stand deutlich in den jungen, mageren Gesichtern: Sie halfen den Ihren.

Neben denen, die wirklich Hunger hatten und froh waren, wenn sie ihn stillen konnten, gab es aber auch kleine Händler, gerissen und oft mit allen Wassern gewaschen. Sie handelten im Auftrag fremder Leute oder ihrer eigenen Familien. Die letztere Gruppe scheute auch vor kleinen Diebstählen nicht zurück. Da wurden Glühbirnen aus den Fassungen geschraubt und bereits im nächsten Haus wieder verkauft. In manchen Fällen entwendeten sie Lebensmittelkarten vom Ladentisch. Einmal schnitten sie im Hausflur einen bunten Vorhang ab und ließen einen Kinderwagen mitgehen. Als die Inhaberin eines Geschäftes im Steinweg in Neustadt eines Tages solche Kinder in ihrer Küche kurz alleine ließ, entdeckte sie danach den Verlust eines neuen Schneiderkleides. Einem Puppenkopfmaler wurde sogar eine Geldkassette mit 400,-- DM Inhalt von zwei Sonneberger Mädchen gestohlen.

Die Handelsgegenstände wechselten auch bei den Kindern mit den Verhältnissen. In den Jahren 1945 und 1946 war es Zucker, den sie aus der Ostzone brachten. 1947 handelten sie mit Schnaps und Zigarettenpapier, 1948 waren es Strümpfe und andere Textilien, freilich oft aus eigenen Beständen, die sie vorwiegend gegen Lebensmittel eintauschten. Sie wussten genau, dass ihnen die Grenzpolizei einen Laib Brot beließ. Was darüber war, schnitten sie in Stücke, um es für die Sicherstellung wertlos zu machen. Sie gaben vielfach offen zu, dass sie größere Mengen dieser eingetauschten oder erbettelten Lebensmittel nicht für sich oder ihre Familie verwendeten, sondern drüben an den bekannten „Börsen“, zum Beispiel am Sonneberger Bahnhof, weiterverkauften. Ein Pfund Mehl kostete 6,-- Ostmark, ein Päckchen Süßstoff 16,-- bis 20,-- Ostmark. Als die Leute hierzulande, durch schlechte Erfahrungen gewarnt, nicht mehr so freigebig und entgegenkommend wie früher waren, erbettelten sie sich bisweilen das Fahrgeld in die Gegend von Lichtenfels oder Bamberg und kamen dann oft schwer beladen mit den Abendzügen zurück.

Ein bezeichnendes Beispiel für die Dreistigkeit jener Kinder erzählte einmal ein Beamter der Grenzpolizei, der einen Zehnjährigen auf dem Bahnsteig an der Seite eines schlafenden Herrn traf. Er behauptete sofort, dass er zu diesem Herrn gehöre, und als es der Polizist nicht glauben wollte, boxte er den Schlafenden in die Seite und überfiel den Erwachenden sofort mit den Worten: „Gell, ich gehöre zu dir?“ Der Überrumpelungsversuch misslang jedoch, denn der Herr stritt die Verwandtschaft ab.

Unmittelbar nach der Währungsreform hatten diese Kinder ihre große Zeit. Sie brachten Markscheine oder Coupongeld (ohne Coupons) herüber. Doch auch danach gab es noch genug gewinnbringende Geschäfte für sie. Sie kannten jeden Schleichweg, jede undichte Stelle im „Eisernen Vorhang“. Die Grenzpolizei schätzte im Jahr 1948, dass täglich im Durchschnitt fünfzig bis sechzig von ihnen an jedem der verschiedenen Polizeiposten Brüx, Meilschnitz, Wildenheid, Neustadt und Fürth am Berg die Zonengrenze überschritten. Sie wurden auch aufgeschrieben, wenn man sie dabei erwischte. Geschah dies öfters, erhielten die Eltern eine Anzeige. Dabei arbeitete die Kriminalpolizeibehörde in Sonneberg mit der hiesigen Grenzpolizei eng zusammen. Als die Polizisten bisweilen verwundert fragten, wie es möglich sei, so lange die Schule zu schwänzen, erhielten sie die Antwort, dass sie frei bekämen, wenn sie dem Lehrer auch etwas mitbrächten.

 
NVA-Soldaten auf Streife an der Grenze

Repro: Ulrich Göpfert

Tödliche Schüsse, Grenzberichtigungen, Mord und Schießerei
Tödliche Schüsse durch russische Grenzposten

Die Demarkationslinie, wie die spätere Zonengrenze und heutige Landesgrenze nach ihrer Errichtung im Juli 1945 genannt wurde, forderte auch im Neustadter Bereich blutige Opfer. Oskar Scheurich aus dem Stadtteil Fürth am Berg, der am 24. August 1945 im Breitenloher Wald Pilze suchen wollte und infolge seiner Schwerhörigkeit das „Stoj“ einer russischen Streife nicht vernahm, wurde dabei erschossen. Moggerer Männer trugen den Leichnam in die Mupperger Friedhofshalle. An seiner Beerdigung durften nur fünf Personen teilnehmen.

Die 23jährige Helene Wolf geb. Krauß aus Haselbach kam beim Überschreiten der willkürlich gezogenen Grenze am Nachmittag des 28. August 1945 ums Leben. Ihre Leiche, die Schuss-Verletzungen aufwies, wurde am 31. August 1945 im Staatsforst Muppberg, in der Nähe des heutigen Stadtteils Ebersdorf gefunden. Das gleiche Schicksal erlitt der gebürtige Neustadter Justus Lauer, den man am 9. September 1945 im Birkenberg beim heutigen Stadtteil Meilschnitz mit tödlichen Schussverletzungen am Hals entdeckte. Lauer, dessen Tod bereits Ende August eingetreten war, hatte zuletzt in Bremen gewohnt.

Auch der Lederhändler Willy Wirthwein aus Sonneberg wurde bei Meilschnitz erschossen. Seine Leiche fand man am 15. September. Wenig später am 11. Oktober, lagen Hans Kölling aus Schwärzdorf mit einem Brustschuss und Hans Adam aus Eulan (Kreis Landsberg/Warthe) mit einem Kopfschuss tot in der Nähe des Meilschnitzer Friedhofes. Am Nordhang des Muppberges endete am 27. Oktober 1945 das Abenteuer des Wilhelm Plückhan aus Waldenburg in Schlesien, über die „grüne Grenze“ zu wechseln. Er schleppte sich noch bis zu den „Drei Buchen“ und blieb dort infolge innerer Verblutungen liegen.

Am 1. Dezember 1945 wurde im Maasberg (Gemarkung Meilschnitz) die Leiche des Otto Novak aus Bennewitz in Sachsen gefunden. Sie wies Hieb- und Stichverletzungen am Kopf auf. Als der Kaufmann Martin Hartebrodt aus Kulmbach am 4. Februar 1946 nördlich von Ebersdorf die Grenze überschreiten wollte, wurde er mit einem Kopfschuss niedergestreckt. Ebensfalls durch Schüsse kam der Lauschaer Student Walter Greiner-Pachter ums Leben, dessen Leiche man am 18. März 1946 in einer Privatwaldung nördlich von Meilschnitz fand. Der Tod dürfte jedoch bereits am 10. oder 11. Oktober 1945 eingetreten sein.

Auch dem Schauspieler Johannes Girnth aus Mitterlind (Oberpfalz) wurde der Grenzübertritt zum Verhängnis. Mit einem Schuss in den Hinterkopf wurde er am 13. Mai 1946 am Nordausgang von Meilschnitz tot aufgefunden. Schließlich wäre noch Hans Göllner aus Unterfranken zu nennen, der am 15. September 1947 beim Überschreiten der Grenze in Richtung Heubisch ums Leben kam.

 
Dorfkinder am Dorfweiher in Hönbach/Thüringen

Repro: Ulrich Göpfert

Grenzberichtigung durch Meilschnitzer Bauern
Bei der Besetzung des Landes Thüringen nahmen die Russen die zu Meilschnitz gehörenden Waldteile Himmelreich, Birkenberg, Tiefengrund und Hohenschrot widerrechtlich in Besitz. Die Grenzverletzung begründeten sie damit, dass dadurch die Wachmannschaften leichter von Effelder nach Bettelhecken kommen könnten. Gleichzeitig ließen sie durch den Wald eine etwa drei Kilometer lange und etwas 340 Meter breite Schneise schlagen. Als 1946 Edgar Müller das Meilschnitzer Bürgermeisteramt übernahm, rief er die Waldbesitzer zusammen, um die willkürliche Grenzziehung bereinigen zu lassen. Die Bauern rückten aus, entfernten die falsch stehenden Holzpfähle und setzten sie an der richtigen Stelle wieder ein.

Am Tag darauf erschienen in Meilschnitz zwei Russen vom Wachposten am nahen Taubelsberg und fragten, was hier geschehen sei. Die Meilschnitzer verwiesen auf die Grenzsteine, die den Grenzverlauf richtig kennzeichneten. Da die russischen Soldaten nichts verstanden, holten sie ihren Kommandanten, der einige Worte Deutsch beherrschte. Als er sich anhand einer mitgebrachten Karte vom Kaisermanöver des Jahres 1912 überzeugt hatte, dass die gezeigten Steine den richtigen Grenzverlauf darstellten, erklärte er, dass die Posten zurückgenommen würden. Die Russen machten von da ab keine Versuche mehr, die Grenze zu verändern. Durch diesen Husarenstreich, der ohne Polizeischutz durchgeführt wurde und zu dem zu jener Zeit viel Mut gehörte, erhielten die Bauern ihre Waldstücke wieder zurück. Die Rückgabe war für sie umso wertvoller, da sie jenseits der Grenze zahlreiche Grundstücke verloren hatten.

 
Ehemaliger Bahnhof Görsdorf/Thüringen auf bayerischer Seite gelegen.
Heute ein schönes Wochenendhaus

Repro: Ulrich Göpfert

Mord unter Grenzgängern
Ein grauenvoller Raubmord spielte sich in der Nacht vom 21. zum 22. April 1947 an der Grenze bei Ebersdorf/Neustadt ab, als der mehrfach vorbestrafte einundzwanzigjährige Walter Hagen aus Bad Köstritz seinen Freund Hans-Joachim Köcher erschlug.

Hagen der im Zweiten Weltkrieg der Division „Feldherrnhalle“ angehört hatte und nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft aus Furcht vor Verschleppung nicht mehr in seinen ostzonalen Heimatort zurückgekehrt war, trieb sich seit 1945 in der französischen und der amerikanischen Zone herum und verdiente zuletzt sein Brot als Grenzgänger und Schmuggler von und nach der russischen Zone. Diese schwarzen Geschäfte machten ihn, wie er bei seiner Vernehmung aussagte, geizig, habgierig und kaltblütig.

Bei dieser Einstellung war es auch gar nicht verwunderlich, dass ihn bald die gepflegte Kleidung seines schwerhörigen, ebenfalls aus Bad Köstritz stammenden zwanzigjährigen Freundes Hans-Joachim Köcher in die Augen stach. Sein Wunsch, in den Besitz dieser Kleidung zu gelangen, und die Wut über den Freund, der ihn bei der Kriminalpolizei wegen Diebstahls angezeigt hatte (wohl mehr von den gemeinsamen Herbergsleuten gedrängt als aus eigenem Willen), führten zu dem Vorsatz, Köcher aus den Weg zu räumen. Hangens Misstrauen gegenüber seinem Freund soll noch verstärkt worden sein, als er von dessen Entschluss erfuhr, wieder in die russische Zone zurückzukehren. Hagen nahm an, Köcher könnte ihn dort anschwärzen.

Nachdem er in jener Nacht sein Opfer nahe der Grenze zum Schlafen in den Wald gelockt hatte, tötete Hagen – er hatte die Tat wohl überlegt, das Erwürgen des Freundes erschien ihm zu entsetzlich – den Schlafenden mit drei Knüppelschlägen auf den Kopf, wobei er die rechte Schädelseite zertrümmerte. Er besaß sogar die Kaltblütigkeit, dem regungslos Daliegenden den Puls zu fühlen, um dessen Tod festzustellen. Anschließend beraubte er den Toten, schleppte die Leiche beiseite und verscharrte sie im Laub. Vierundzwanzig Stunden später befand sich Hagen in Haft.

Die während der Verhandlung vor der Strafkammer des Landesgerichts Coburg am 5. Januar 1948 zur Schau getragene Ruhe, aus der er nur einmal hochfuhr, als ein Zeuge seinen Vater ebenfalls als arbeitsscheu bezeichnete, verließ den jungen Mörder auch bei der Verkündung des Todesurteils nicht.

Schießerei bei Fürth am Berg
Am Abend des 23. August 1948 kam es im heutigen Stadtteil Fürth am Berg unmittelbar an der Grenze zu einem Zwischenfall, bei dem ein Mann aus Erlangen durch einen Bauchschuss so schwer verletzt wurde, dass er noch in derselben Nacht im Landkrankenhaus Coburg verstarb. Der Fremde, der sich vermutlich unter falschem Namen in der Gastwirtschaft Bätz eingemietet hatte, begab sich gegen 21 Uhr an die Zonengrenze. Was er dort wollte, konnte nie ermittelt werden. Es ist aber anzunehmen, dass er in eine Falle gelockt worden war und die Flucht ergriff, als er seine Lage erkannte. Dabei wurde der Mann vom Postenführer der thüringischen Grenzpolizisten verfolgt und angeschossen.

Mit letzter Kraft schleppte er sich in die etwa 100 Meter von der Grenze entfernt liegende Gastwirtschaft Bätz. Aber selbst dort war er nicht sicher, denn einer der thüringischen Grenzwächter kam sogar bis in die Gaststube und versuchte den Schwerverletzten festzunehmen. Auf seine Hilferufe eilten bayerische Grenzpolizisten hinzu, worauf sich der Verfolger zurückzog. Die bayerischen Grenzpolizeibeamten, die nun ihrerseits die Verfolgung aufnahmen, wurden an der Demarkationslinie von den drei thüringischen Grenzern mit vorgehaltenen Pistolen bedroht. Dabei forderten die thüringischen Grenzpolizisten die sofortige Auslieferung des Angeschossenen, da er angeblich von der Polizei beider Zonen wegen eines Sprengstoffanschlages gesucht wurde.

Gegen 22.30 Uhr kam der Schwerverletzte ins Landkrankenhaus Coburg. Doch während sich die bayerischen Grenzjäger bemühten, die Personalien des Angeschossenen aus dem Fremdenbuch der Gastwirtschaft festzustellen, drangen plötzlich die thüringischen Grenzpolizisten mit vorgehaltenen Pistolen und dem Ruf „Hände hoch“ in die Gaststube ein. Bei dem anschließenden Handgemenge gab ein thüringischer Grenzpolizist einen Schuss auf einen bayerischen Grenzjäger ab, der jedoch sein Ziel verfehlte. Als danach die thüringischen Grenzpolizisten die Flucht ergriffen, konnte einer von ihnen festgenommen und der amerikanischen Militärpolizei übergeben werden.

 
Ehemalige Bergmühle in Ebersdorf/Neustadt. Sie wurde im August 1961 abgerissen

Repro: Ulrich Göpfert

Ein kühner Husarenstreiche
Vielen Flüchtlingen aus der damaligen Ostzone ist die Flucht über die Zonengrenze gelungen. Den kühnsten Weg dürfte ein Achtzehnjähriger am 10. Juni 1952 gewählt haben, dessen Flucht mit einem Personenauto über die Grenze an der Bergmühle bei Ebersdorf erfolgte. Das Gasthaus liegt im bayerischen Gebiet. Doch die Straße, die das Gasthaus mit der Bergmühle verbindet, führte durch das Gebiet der Ostzone. Vor dem Eingang zur Bergmühle standen acht Volkspolizisten. Auf der Straße parkten zwei Lkws, die die Dreschmaschine des Bergmüllers abtransportieren sollten. Plötzlich näherte sich aus Richtung Heubisch ein helles Personenauto und braust mit enormer Geschwindigkeit an den verdutzten Vopos vorbei – dem bayerischen Grenzpfahl zu.

Die Vopos entsicherten die Gewehre – doch der Wagen ist schon um die Biegung. Rund 100 Meter hinter der Bergmühle ist der bayerische Schlagbaum. Etwa vier Meter davor sitzen zwei Volkspolizisten. Interessiert schauen sie auf den Wagen. Der Fahrer ist ausgestiegen und hat den Schlagbaum geöffnet. Gerade will er wieder einsteigen. Da hören sie hinter sich das Geschrei ihrer Kollegen. Jetzt erst merken sie, dass hier etwas nicht stimmt. Schon prasseln die ersten Schüsse in Richtung Wagen. Doch glücklicherweise traf nur eine Kugel, die die linke Tür des Wagens durchbohrte, ohne den kühnen Fahrer zu verletzten. Er ist einer von jenen, die unter Einsatz ihres Lebens, die Flucht in den Westen glückte.

Quellenhinweis: Helmut Scheuerich - Geschichte der Stadt Neustadt, Erster Band
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