Leise rieselt der Schnee...

Leise rieselt der Schnee…
Ein Weihnachtsmärchen aus den Bergen
nach einer Novelle von Christoph Lucerna


Foto: 2012  © Ulrich Göpfert

Schriftsteller war er geworden, als er nach vielen Jahren des Aufenthalts in fernen Ländern mit seiner Familie zur Weihnachtszeit in sein Heimatstädtchen zurückkehrte. Die Kinder waren schon größer, beinahe erwachsen, er selbst war ruhiger, abgeklärter und bescheidener geworden. „Ich geh` mal etwas durch die Stadt“, teilte er fröhlich gestimmt seiner Frau mit, welche gerade die Kinder für einen Weihnachtsbummel einkleidete und dem Wunsch ihres Mannes verständnisvoll entgegensah.

Großes Entzücken mischte sich mit einem Hauch von Wehmut, als er durch die Gassen und Lauben der Stadt zog, auf dem Domplatz gelangte und das Menschentreiben des Christkindlmarktes an eine alte Mauer gelehnt aufmerksam verfolgte. Ein sanftes Kindergespräch auf einem Karussell des erwartungsvollen Adventstreibens klang dem Manne einen flüchtigen zarten Augenblick lang wie aus dem fernen Garten der eigenen Jugend herüber.

„Dass ich dich wieder mal zu sehen bekomme, ist das schönste Weihnachtsgeschenk dieses Jahres“, wurde Hans durch eine ihm bekannte, wohlig anmutende Stimme aus seinen stimmigen Gedanken in das rege Treiben des Christkindlmarktes zurückgeholt. „Elf Jahre haben wir uns nun nicht mehr gesehen“ entgegnete er mit leicht feucht gewordenen Augen, sich der Hoffnung bewusst geworden, genau Theodor in der Stadt gesucht zu haben, während sie sich vor Freude umarmten.


Foto: 2012 © Ulrich Göpfert

„Das machen wir, das wäre schön“ jubilierte Hans in die weihnachtlich glänzende Bar hinein, in der sie sich zurückzogen, einen heißen Punsch schlürften und vereinbarten, noch am heutigen frühen Abend wie vor fünfzehn und mehr Jahren in den Wäldern Theos einen schönen Christbaum zu hacken, um dann mit ihren Familien auf der Almhütte Weihnachten zu feiern. Und bereits nach wenigen Stunden waren sie, etwas verschwitzt vom Schneeschuhwandern, an der Türe der Hütte Theos angelangt.

Nachdem sie alle die Vorbereitungen trafen, sich von ihren in der Hütte zurückgebliebenen Familien verabschiedeten und sich dem Wald näherten, trat plötzlich – wer weiß woher – eine fast peinliche Befremdung ein.

Hans, der sich, die Menschen und deshalb vor allem auch seinen Freund Theo kannte, war darauf vorbereitet und fasste deshalb Mut: „Theo, wenn wir jetzt etwas hilflos vor uns herschweigen, dann mag dies aus Angst geschehen, wir könnten nicht mehr die Alten sein, die fast schon vergessene Unbekümmertheit und Ungezwungenheit würde durch die langen Jahre, die wir uns nicht mehr gesehen haben, verloren gegangen sein. Bei uns beiden hat sich Einiges verändert, vieles hat sich in den vielen Jahren getan, aber im Herzen bin ich der alte geblieben, und ich denke, du auch.“

Theo war überrascht über den Mut von Hans, so offen über die etwas peinliche Situation zu sprechen, zugleich sehr erfreut darüber und nicht zuletzt erstaunt, wie ruhig und sicher ihn die Aussage seines Freundes machte.


Foto: 2012 © Gabriele Göpfert

„Wie findest du den hier? fragte Hans. „In der Tat Hans, der ist großartig!“ strahlte Theo, „da können unsere Kinder eine Menge Weihnachtskugeln und Lametta anhängen.“ Als sie den Christbaum im Wald absägten, kam im selben Augenblick über beide Männer ein verwehter Glücksrausch aus den fernen Knaben- und Jugendzeiten her; sie blieben minutenlang im Vorgefühl des leichten, kalten Schauers stehen und in ihren Seelen tat sich sachte das weiße helle Tal der Jugendwinterzeiten auf, dass sie schwiegen und, der sanften Regung ungewohnt, mit halber Verlegenheit die Äste des Christbaums abhakten.

Sie lachten einer dem anderen in schweigendem Vergnügen zu und es schien beiden, erst jetzt seien sie wieder die alten Kameraden und erst jetzt beginne diese kleine, trotzdem aber fatale Kluft von Ungewohntheit und Fremdheit zwischen ihnen zu verschwinden.


Foto: 2012 © Gabriele Göpfert

Als sie sich nach der Rückkehr zu ihren Familien mit einer heißen Tasse guten Tees vor die Hütte stellten, hatte es zu schneien begonnen. Sie lauschten ins Tal hinab. Ein Reigen von kleinen, gelb glühenden Lichtern des tief unten liegenden Dorfes, die wie tausend Sternschuppen trunken durcheinander taumelten, erfüllt die Luft und die klirrende Kälte. Aus der Hütte heraus vernahmen sie den Klang des Liedes, das von zweien ihrer Kinder auf der Flöte gespielt wurde.

Hans summte sein liebstes Weihnachtslied vor sich her. Und Theo stimmte ein:

Leise rieselt der Schnee,
still und starr liegt der See,
weihnachtlich glänzet der Wald.
Freue dich: s` Christkind kommt bald!

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