Durchmärsche und Einquartierungen fremder Truppen
Eine Erzählung aus dem Coburger Land
Ein Blick auf Weißenbrunn vorm Wald
Foto: © Ulrich Göpfert
Das Jahr 1715 war für die Bewohner des oberen Itzgrund kein gutes gewesen. Die Ernte war nicht so ausgefallen, wie man es erwartet hatte und die Kriegssteuern, die für die auswärtigen Kämpfe des Kaisers zu leisten waren, drückten schwer auf Volk und Land.
Heimatloses Volk, Diebesgesindel, abgedankte Soldaten rotteten sich überall zu Banden zusammen und überfielen ahnungslose Dörfer. Gewöhnlich wurde zur Nachtzeit ein Haus in Brand gesteckt und alsdann die entstehende Verwirrung zum Rauben und Plündern benutzt. Was aber vor allen Dingen den Druck in jenen Tagen unerträglich machte, das waren die Durchmärsche und Einquartierungen fremder Truppen. Sie wurden Ende des Jahres 1715 für die Orte Weißenbrunn vorm Wald, Schönstädt, Fischbach und Mittelberg zur verheerenden Hochflut.
Ein schöner Fachwerkhof in Weißenbrunn vorm Wald
Foto: © Ulrich Göpfert
Der Ruf: die Türken seien im Anmarsch, war in die Gegend gedrungen und machte alle Herzen zittern. Von allen Seiten wurden Truppen zum Heer des Kaisers berufen. Aus den Niederlanden kehrten sie in die Stammlande zurück und auch die norddeutschen Reichsstädte zögerten nicht, ihre Hilfskräfte zum Schutze der bedrohten Stadt Wien gegen den Erzfeind zu senden. Ein großer Teil dieser Regimenter nahm seinen Weg durch das Coburger Land. Am Ende des Jahres 1715 hatte das Dorf Weißenbrunn vorm Wald über die Maßen viel auszustehen. Am 21. Dezember kamen hannoversche Reiter. Ihnen folgte am nächsten Tag Fußvolk aus dem gleichen Land. Am 23. war es ein preußisches Regiment, das auch Proviant und Quartier verlangte. Kaum hatten die Preußen den Ort verlassen, als noch am selben Tag kaiserliche Kürassiere einrückten und Standquartier für etliche Tage ansagten. Gewiss, es waren keine Feinde, aber Gewalt ging damals eben vor Recht. Da war nichts mehr sicher im Dorf, nicht mal das Mehl im Kasten, nicht das Fleisch im Rauchfang, nicht der Gulden im Notversteck, ja nicht einmal die Bewohner selbst. Unter fortgesetzten Bedrohungen und wohl auch oft Misshandlungen verlangte man von den Bauern, die selber nichts mehr zu Essen hatten, Speise und Trank. Es war ganz wie in Kriegszeiten.
Kirche in Weißenbrunn vorm Wald
Foto: Ulrich Göpfert
Es war Heiliger Abend
Ein trübseliges Weihnachtsfest stand vor der Tür. Angst, Furcht und Hunger waren die Gäste eines jeden Hauses. Das letzte Stück Brot war weg. Niemand wusste, was der morgige Tag bringen konnte. Ernst und still ging der Pfarrer Ewald von Haus zu Haus, überall begütigend und schlichtend. Seine Beichtkinder wies er auf Gott: „Und morgen, wenn der Tag graut und die Glocke die heilige Weihnacht einläuten, da fehlt nicht einer unter der Linde vor der Kirche.“ Die Nacht verging mit Beten und Wachen. Nur die Soldaten schliefen. Als der erste Schimmer im Osten den Tag verkündete, klangen die Glocken laut über die Gegend. Als die Töne verklungen waren, standen sie alle, Jung und Alt, Männer und Frauen unter der Linde vor der Kirche, um nach alter Gewohnheit das liebe Fest einzusingen.
Als der Lehrer den Choradstanten das Zeichen zum Einsetzen der Blasinstrumente gab und der Choral „Wie schön leucht` uns der Morgenstern“ über das Dorf erklang, da stimmten alle mit ein, erst wohl leise und zitternd, dann aber fester und voller. Beim Choral „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ tat sich da und dort eine Tür auf. Langsam kamen einzelne, dann mehrere, endlich viel Soldaten die Straße herauf. Verwundert sahen sie die Gemeinde und hörten den Gesang. Sie standen still und lauschen mit Staunen: „Heute ist ja Weihnachten.“ Sehnsucht nach der fernen Heimat stieg in ihren Herzen auf: Weihnachten!
Als das Lied zu Ende war, baten sie den Lehrer, er möge es noch einmal anstimmen. Und wieder sang die Gemeinde und die fremden Soldaten sangen alle mit, und manche Träne rann dabei den rauen Soldaten aus den Augen. Sie hatten ihren Frieden geschlossen: Bedrückte, Katholiken und Protestanten. Die alte Weihnachtsbotschaft war in alle Herzen eingedrungen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Quellenhinweis: Fr. Kipp (Lesebuch 1918)