Ein Ami will einen Deutschen kennen lernen. Jakob meldet sich und gibt seine Adresse an. Der Soldat Jim Arnold ist oben auf dem Flugplatz eingesetzt. Noch heute wird er nach dem Dienst vorbeikommen, heißt es. Im eigenen Wagen.
Immer wieder lehnt sich Jakob aus dem Fenster, hält Ausschau nach einem verchromten Ami-Schlitten. Mal in so einem Cadillac, Buick oder Chevrolet mitfahren. Einer, bei dem das Dach mit Knopfdruck auf- und zugeht. Durch Mohrenstraße und Spitalgasse im Schritt. Ein paar Mal um den Markt kurven. Den Arm lässig aus dem Beifahrerfenster hängen lassen. An einer Bude stoppen und Bratwurst essen. Sich dabei vor den Leuten auf Englisch unterhalten. Der müsste natürlich Uniform tragen. Käppi mit stark gewölbtem Schild, Army-Hemd mit Namensschild und Dienstrang, hohe Schnürstiefel.
Es läutet. Der Ami ist da.
Es fraut mick, ihra Bekannschaff ßu maken, hat er sich eingeübt. Er ist nicht drahtig und sportlich. Untersetzt, Brillenträger, Haarschnitt wie der Hitler, sogar schwarzer Schnauzer. Keine Uniform, sondern ausgebeulte Hosen mit Aufschlag, ärmelloser Pullover, Hawaiiblumenhemd und schwarze Halbschuhe. Einen ganzen Kopf kleiner. Er ist kein Ami zum Angeben.
Where did you park your car?
Right in front of your house. It's a Volkswagen.
Ein Blick aus dem Fenster. Da unten steht wirklich bloß ein kackebrauner Käfer. Aus der Traum vom Herumfahren im Chromblitzer. Eventuell könnte man zumindest an ein Paar gebrauchte Levis kommen.
Sie steigen ein. Auf der Rückbank liegt die Uniform. Im hinteren Fußraum seine Schnürstiefel. Es geht hinaus nach Neuses. Er will ihm sein rental apartment zeigen. Ein schiefergedecktes Häuschen. Zimmer mit Klo.
Scotch or Bourbon?
Das Wort Scotch kommt ihm bekannt vor. Also Scotch. Das Zeug schmeckt grässlich. Kunstbände im winzigen Bücherregal. Vor drei Jahren hat er das High School Diploma gemacht. Das gerahmte Jahrgangsfoto. Unterhose, T-Shirt und abgestreifte Socken in Army-Oliv auf dem ungemachten Bett. Er will German art kennen lernen.
Let's start with Baroque.
Jakob dirigiert ihn über Lichtenfels nach Vierzehnheiligen. Jakob sagt etwas von seventeenth century und absolutism. Der Jim nickt, scheint beeindruckt. Deckengemälde überfliegt er unbeteiligt. Die Kammer mit Votivtafeln, wächsernen Armen und Beinen, zurückgelassenen
Krücken. Hier bleibt er am längsten, lässt sich die Widmungen der Bilder und Danksagungen im Gästebuch übersetzen.
Das Metzgerskind fällt in den Brühtrog und wird gerettet.
Der Ehemann und Vater kehrt nach zehn Jahren aus russischer Gefangenschaft zurück, die Vierzehn Heiligen haben geholfen.
Auf der Rückfahrt hält er am Waldrand an. Uniform anziehen. Der Commander hat es nicht gern, wenn seine GIs das Kasernengelände als civilians betreten. A friend of mine, sagt der Jim Arnold zum Diensthabenden in der Baracke am Checkpoint und deutet auf Jakob. Der wird rot. Sie dürfen passieren. In der Canteen schleppt Jim Tüten mit Hamburgern, Doughnuts und Buttercookies an. Goldgelber Californian Orange Juice rinnt aus der Literdose in die Pappbecher. Sie kauen, trinken, schweigen sich an.
A friend of mine.
Zu jedem GI sagt er das, der an ihrem Tisch vorbeigeht.
Keiner antwortet ihm.
Freunde scheint er hier nicht zu haben. Jakob will ihn von dieser Niederlage ablenken und sagt, dass es hier für ihn very interesting ist und wie gut das alles geschmeckt hat. Andere Amis wirken in der Uniform schneidig und durchtrainiert. Beim Jim sieht es aus, als habe er sich damit nur verkleidet. Sie gehen.
Die Mama sagt, er soll den Jim mal einladen. An Heiligabend hockt der doch sonst einsam in seiner Bude. Um sechs Uhr gibt es Abendessen. Knackwürste und Kartoffelsalat. So was muss jedem schmecken.
Einen verchromten Patentkorkenzieher hat sie sich als Geschenk ausgedacht. Weil der Jim doch Whisky trinkt. Jakob soll ihm das Ding im Namen der Familie überreichen. Man darf sich doch nicht lumpen lassen. Sie erinnert an Schulspeisung und CARE-Pakete.
Der VW ist da. Unter der Neonpeitsche kann er sehen, wie der Jim Arnold Päckchen aus seinem Käfer holt, sie auf das Autodach stapelt. Jakob hält ihm die Haustür auf und hört den Jim Merry Christmas sagen. Die Mama empfängt ihn an der Wohnungstür.
Aber Jim, das wäre doch nicht nötig gewesen.
Nothing to speak of, nuschelt er verlegen zurück.
Nein wirklich, Jim. Dass Sie sich wegen uns so in Unkosten gestürzt haben.
Jakob sieht mit dumpfer Angst der Bescherung entgegen. Mit einem Korkenzieher im Kartönchen soll er gegen den amerikanischen Geschenkpaketriesen antreten. Die Mama zerstreut seine Bedenken, meint, dass der solche Knackwürste noch nie gegessen hat. Von ihrem Kartoffelsalat ganz zu schweigen. Sie hat Recht. Auf Jim Arnolds Teller türmt sich ein Berg davon. Seine Gabel gabelt sich der Reihe nach sechs Knacker aus der Brühe. Ihm glänzen die Mundwinkel.
Alle sind in die Küche verbannt worden. Das Christkind braucht Zeit zum Aufstellen der Geschenke, zum Anzünden der Christbaumkerzen. Jakob kramt im Bücherregal. Ihm ist eine Idee gekommen, wie er die Demütigung beim Überreichen des Korkenziehers von sich abwenden könnte. Die kleine schwarze Bibel sucht er. Holy Bible in Goldschrift auf dem Buchrücken.
Foto: 2012 © Joachim Kortner
Dieser amerikanische Missionar hatte sie ihm vor ein paar Jahren auf der Bahnhofstraße in die Hand gedrückt. Ein freundlicher Mann. Kurzhaarschnitt, dunkelblauer Anzug, weinrote Krawatte.
You are searching for peace of mind? You'll find it in the words of the Lord. Someday you're gonna need it.
Dann war er weitergegangen. Hatte ihn bedeppert stehen lassen. Was sollte er denn als Vierzehnjähriger mit einer Bibel?
Mamas Messingglöckchen.
Jetzt bloß nicht gierig nach Geschenken schielen oder gar suchen. Zuerst kommt das Weihnachtsevangelium. Das war schon immer so. Seit dem letzten Jahr seine Aufgabe. Weil er so eine deutliche Aussprache hat, begründet die Mama das. Der gewohnte Tischkreis. Holy Bible und Neues Testament mit Lesezeichen. Satz für Satz will er abwechselnd aus beiden vorlesen. Der Jim Arnold muss davon so beeindruckt sein, dass ihm dieses Zwergengeschenk eines kümmerlichen Korkenziehers nichts mehr ausmacht.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt gezählt würde.
And it came to pass in those days, that there went out a decree from Caesar Augustus, that all the world should be taxed.
Er mimt Ami-Aussprache und Tonfall.
Die Mama lächelt ihren Jüngsten stolz von der Seite her an, blickt dem amerikanischen Gast forschend ins Gesicht. Seltsam klingt das Evangelium in Englisch. Gar nicht fromm. Ganz modern. Wie die Nachrichten vom AFN.
Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe. Denn in der Herberge war kein Platz für sie.
And she brought forth her firstborn son, and wrapped him in swaddling-clothes, and laid him in a manger; because there was no room for them in the inn.
Das mit den Hirten und Engeln schenkt er sich. Dem Gesicht vom Jim Arnold ist nichts anzumerken. Die Geschenke. Jakob muss es hinter sich bringen. Schnell und unauffällig wird der Patentkorkenzieher an Jim überreicht. Einen bonbonfarbenen Wandbehang mit Fransen holt die Mama aus dem amerikanischen Paket. Sie faltet ihn auf. Die Niagarafälle sind aufgedruckt. Sie hält ihn provisorisch über die Lehne der Klappcouch, sagt: Thank you. Jakob soll auf Englisch sehr geschmackvoll dolmetschen. Ami-Rasierwasser Old Spice für das Familienoberhaupt. Vater verreibt es auf dem kahlen Schädel. Das kühlt so schön. Für die Brüder eine Langspielplatte von Folksänger Burl Ives.
Der Jim Arnold schaut auf seine Army-Uhr. Das englische Evangelium scheint ihn doch nicht so recht überzeugt zu haben. Jakob muss noch einmal nachlegen, muss die Geschenkelücke endgültig schließen. Es geht um seine Ehre, die Ehre der Familie Kottke und um die Ehre von ganz Deutschland.
Foto: 2012 © Joachim Kortner
Er muss dem Ami die schwarze Holy Bible mit dem goldenen Aufdruck schenken.
Damals mit vierzehn hatte er damit nichts anfangen können. Inzwischen war sie ihm aber zu einem wertvollen Besitz geworden. Eine echte Rarität. Sogar der Dschenneräll auf dem Albertinum hatte sich die Bibel mit ins Lehrerzimmer genommen, um sie einem anderen Kollegen zu zeigen. Jakob kennt keinen Deutschen, der eine original amerikanische Bibel besitzt. Der Ami-Missionar hatte doch gesagt, dass er sie eines Tages noch brauchen wird. Das ist also dieser Tag, den er gemeint hat. Es muss sein.
Thanks a lot. Unter Jims amerikanischem Daumen rasen die zweihundertsiebenundsechzig Bibelseiten durch.
Any colour pictures?
Er legt das Buch auf den Tisch.
Time to go. Nice evening.
Jakob begleitet ihn zum VW.
Better get my exhaust repaired, knurrt er durch sein gekurbeltes Fenster und knattert mit dem Loch im Auspuff davon. Die geschenkte Holy Bible hat er auf dem Esstisch liegen gelassen.